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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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von Gabriellas Arbeit und ihrem neuen Leben, aber auch, wie fassungslos sie gewesen war, als Tom sie verlassen hatte.
    »Ich kann immer noch nicht verstehen, was da schiefgelaufen ist«, sagte sie. »Ich war davon überzeugt, dass Mum und er die ganze Zeit glücklich miteinander waren. Sie haben schwierige Zeiten durchlebt, aber ich hätte nie gedacht, dass sie sich trennen würden. Mum war immer sehr gereizt, wenn Dad eine seiner schlechten Phasen hatte. Es machte ihr Angst, dass er nie über seine Gefühle gesprochen hat. Aber Mum ist manchmal auch ein bisschen überängstlich. Nach Grannys Tod hat er sich jedenfalls verändert. Warum, weiß ich nicht.«
    »Vielleicht verstehst du ihn besser, wenn ich mit meiner Geschichte fertig bin«, sagte Beatrice.
    »Was meinst du damit?«
    »Ich muss dir alles der Reihe nach erzählen, sonst ergibt es keinen Sinn.«
    Als Lucy Beatrice verließ – sie hatte versprochen, am nächsten Tag wiederzukommen –, war es fast dunkel. Zurück im Hotel hielt sie in der Bar Ausschau nach Anthony. Er war nicht da, und sie war enttäuscht. Sie ging ins Bett und lag noch lange wach. Die Gedanken wirbelten nur so durch ihren Kopf. Am nächsten Tag, Mittwoch, würde die Woche, die sie sich hier gegeben hatte, schon zur Hälfte vorbei sein. Lucy war völlig gefangen genommen von Beatrice’ Geschichte. Was hatte sie damit gemeint, dass sie, Lucy, am Ende alles verstehen würde? Die Suche hatte mit Rafe begonnen. Allmählich keimte in Lucy der Verdacht, dass es in Wirklichkeit um ihren Vater ging, um Tom.

KAPITEL 16
    London, November 1940
    Beatrice stellte den Becher mit dem Tee auf den Tresen. Der alte Mann hob ihn vorsichtig hoch und wärmte seine Hände daran. Er trank geräuschvoll und mit kleinen Schlucken. Seine Finger schauten aus den verschlissenen Handschuhen hervor, die Nägel waren gefurcht und hatten schmutzige Ränder.
    »Eine Saukälte is das heut Nacht«, bemerkte er, als wäre es ein ganz normaler Abend. »Hoffe, die Deutschen frieren sich die Eier ab.«
    Wieder begann das Heulen der Luftalarmsirenen, die sich wie große traurige Tiere in einer ursprünglichen Landschaft ausmachten.
    »Gehen Sie in Deckung, beeilen Sie sich!«, rief ein Luftschutzhelfer.
    Eine junge Frau, die unter dem einen Arm ein zappelndes Kleinkind trug und mit dem anderen ein großes Bündel umklammert hielt, kam aus dem nächtlichen Nebel herausgestolpert und hetzte an der mobilen Kantine vorbei. Bevor sie im Zugang zum Luftschutzkeller verschwand, sah Beatrice, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen. Mitleid durchfuhr Beatrice wie ein Stich – sie hoffte, dass irgendjemand da drinnen ihr helfen würde.
    »Also, ich bin dann mal weg, mein Schatz«, sagte der alte Mann und stellte den Becher wieder auf den Tresen. Er nickte zum Dank und machte sich in quälender Langsamkeit auf den Weg zum Schutzraum.
    Drei Mal heulten die Sirenen und zerrissen die Nacht. Gefahr am Himmel! Als Nächstes folgte das unheilvolle Brummen von Motoren. Beatrice war immer ein bisschen beruhigt, wenn sie das Feuer der Flugabwehrgeschütze hörte, obwohl es die bedrohlichen Geräusche der sich nähernden feindlichen Flugzeuge nicht übertönte.
    »Lass uns hier verschwinden, Mary!«, rief sie ihrer Kameradin zu.
    Mit eisigen Händen betätigte sie den Mechanismus, mit dem die Durchreiche geschlossen wurde und beobachtete dabei die Lichtbündel, die nun den Himmel abtasteten und die trostlosen Silhouetten der zerstörten Gebäude ringsum hervortreten ließen.
    »Beeil dich«, sagte Mary und knallte eine Dose mit Keksen in einen Schrank.
    Wie zwei Mäuse rannten die beiden dann über das Kopfsteinpflaster zu dem großen Lagerhaus hinüber. Durch eine kleine Tür an der Seite betraten sie das, was Beatrice für sich den Höllenkreis nannte, obwohl es die vielen Tausend Bewohner wahrscheinlich als Zuhause betrachteten.
    Während des Blitz , wie die deutschen Bombenangriffe auf die englischen Städte genannt wurden, war Beatrice in den letzten vier Wochen jede dritte Nacht mit dem Kantinenwagen von einem öffentlichen Luftschutzkeller zum anderen gefahren. Zuvor hatte sie eine kurze Ausbildung für die FANY absolviert. Auch tagsüber hatte sie verschiedene Aufgaben: Manchmal war sie mit der Kantine unterwegs, oder sie transportierte Patienten mit einem kleinen Krankenwagen zu der Sanitätswache in ihrem Stützpunkt und wieder zurück.
    Inzwischen hatte sie schon einige Male in dem Lagerhaus in Whitechapel, einem inoffiziellen

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