Das Biest in ihm (German Edition)
wurde Vincent wieder zum Menschen.
„Sag, wenn es wieder gut ist. Auch innen, meine ich.“
Ihm war schlecht und vor seinen Augen flackerte es. Nina ließ ihn in ihrem Arm. Er hörte auf ihren Atem, versuchte, seinen Rhythmus an ihren anz u passen.
„So ist es gut.“ Sie massierte sanft seinen Nacken, küsste ihn sacht auf die nasse Stirn. „Lass den Me n schen in dir wieder zu.“
Endlich traute er sich, sie auch zu umarmen. Wie er zitterte! Er konnte sie kaum halten. Die Dankbarkeit, dass er sich nicht in einer dreckigen dunklen Ecke allein von seiner Qual erholen musste, ließ ihm Tr ä nen in die Augen steigen. Völlig egal. Sein Gesicht lag in ihrer Hal s beuge und im Zweifel hielt sie es für Schweiß.
„Passiert dir das oft?“
Die angedeutete Bewegung dicht an ihrem Hals mochte sie für ein Nein halten.
„Wie oft?“
Oh Nina. Das willst du nicht wissen.
„Sag es mir. Du kannst mir vertrauen.“
Mit größter Anstrengung trennte er sich von ihrer warmen Haut. „Kurz, bevor ich … jage, und wenn ich … “ Er konnte es nicht aussprechen. Das Biest war ihm noch zu dicht auf den Fersen.
„Verstehe.“ Sie nahm seine Hand und streichelte über das schwindende Fell.
„Du verstehst es nicht!“ Sein Magen krampfte sich zusammen, als er an die blonde Frau dachte, deren Blut über seine Klauen geflossen war. Nina legte ihre Hand auf seinen Bauch, direkt unter den Nabel. Vincent stöhnte auf. Es tat gut, so, als ob sie dem Biest das Maul zuhalten würde.
„Es kommt von hier.“ Sie drückte fester und er musste sich strecken, um den Gefü h len, die auf ihn ei n strömten, Platz zu machen. „Du kannst keine Frau lieben, ohne ein Tier zu werden.“
Er presste ihre Hand noch fester auf sich. Es war gleichgültig, woher sie es wusste. Sie musste ihn nur weiter berühren.
„Das Biest lässt sich kontrollieren. Ich kann es zähmen, wenn du willst.“
„Du lockst es.“ Ihre Küsse hatte n auch dem Mann in ihm den Verstand g e raubt. Sie beugte sich über ihn. Ihr sanfter Kuss schmeckte auf seinen Lippen nach viel mehr, als ihm im M o ment guttun konnte . Doch das Biest schwieg. Er fuhr Nina durchs Haar und zog sie zu sich.
„Noch mal.“
Ihre Augen blitz t en vor Spott. „Lange nicht geküsst, was?“
„So noch nie.“
„Du weißt, dass das nur funktioniert, weil du zu Tode erschöpft bist und ich dir dabei helfe, deine Nachtseite zu kontrollieren?“
Der Druck auf seinem Bauch nahm zu und er fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit sicher. Sie streichelte über sein verschwitztes Gesicht, fuhr mit dem Daumen zart über seine Lippen, und als sie ihn küsste, erlebte er auf, in und um seinen Mund die san f teste Variante leidenschaftlicher Zärtlichkeit, die er sich nie zu träumen gewagt hätte.
„Danke.“
„Für den Kuss?“
„Dafür, dass du nicht vor mir geflohen bist.“
„Aber das werde ich tun, eines Tages.“ Ihre Traurigkeit breitete sich in seinem Herz aus und ließ es schwer wie ein Felsen werden.
„Du weißt, was ich bin?“
Nina nickte.
„Was?“
Sie stand auf, sah auf ihn herab und die Träne, die über ihre blasse Wange rann, ze r platz t e auf der Diele. „Such mich auf. Bei hellem Sonnenschein oder ich hetze meine Brüder auf dich. Ich habe sieben.“
Sie ging, ohne sich nach ihm umzus e hen.
Nina rannte die Treppe hinunter auf die Straße. Sie sah sich um, aber er folgte ihr nicht. Sie schmeckte seinen Kuss auf den Lippen, fühlte seine Haut auf ihren Wangen. Und das Fell.
Warum sie? Von der Schaufensterscheibe einer Boutique sah ihr eine blasse Frau en t gegen. Die Antwort stand ihr im Gesicht: wer sonst. Vincent war allein. Niemand klärte ihn auf. Niemand half ihm. Niemand beruhigte ihn und niemanden konnte er lieben. Weder als Mensch noch als Tier. Marcel hatte ihr anvertraut, dass er sich ohne seine F a milie und ohne seine Mädchen das Leben nehmen wü r de. Ohne Liebe lohnte es sich nicht, dem Biest die Stirn zu bieten.
Sie würden ihn finden. Sie würden ihn zur Strecke bringen. Weil er ein Einzelgänger war. Sie musste mit Nathan reden. Musste ihn überzeugen, dass Vincent kontrollierbar war. Er musste ihr glauben. Er war so oft dabei gew e sen, als sie ihre Brüder zurückgeholt hatte . Sie hatte es eben bei Vincent geschafft. Sie wü r de es immer wieder schaffen. Die unsägliche Angst, die in seinen Augen gestanden hatte , als es losgegangen war. Als sich das Hellbraun in Bernsteingelb gewandelt hatte und die Pupillen zu
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