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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wieviel er gekostet hatte. Er hatte mit einem Kopfschütteln und einem knappen, nachsichtigen Lächeln geantwortet - dem Lächeln eines
Vaters, dessen Kind wissen will, warum der Himmel blau ist
oder wieviel Schnee es am Nordpol gibt. Laß gut sein, hatte er
gesagt. Du sollst nur wissen, es ging darum, entweder den Klunker oder einen neuen Buick. Ich hab mich für den Klunker entschieden. Weil ich dich liebe, Rose.
Als sie jetzt an der Straßenecke stand, konnte sie sich
immer noch gut erinnern, was sie da empfunden hatte Angst, denn man mußte Angst vor einem Mann haben, der zu
so einer Extravaganz fähig war, einem Mann, der einen Ring
einem neuen Auto vorzog. Aber sie hatte sich auch etwas
atemlos und sexy gefühlt. Denn es war romantisch. Er hatte
ihr einen so großen Diamanten gekauft, daß man ihn nicht
ungefährdet auf der Straße sehen lassen konnte. Ein Diamant
so groß wie das Ritz. Weil ich dich liebe, Rose.
Vielleicht hatte er das … aber es war vierzehn Jahre her,
und das Mädchen, das er geliebt hatte, hatte leuchtende
Augen und feste Brüste, einen flachen Bauch und lange,
straffe Schenkel gehabt. Wenn dieses Mädchen auf die Toilette ging, hatte sie kein Blut im Urin gefunden.
Rosie stand an der Ecke vor dem Laden mit dem Neonschild im Schaufenster und betrachtete ihren Verlobungsring. Sie wartete ab, was sie empfinden würde - ein Echo von
Angst oder womöglich gar Romantik -, aber als sie überhaupt nichts spürte, drehte sie sich zur Tür der Pfandleihe
um. Sie würde Daughters and Sisters bald verlassen, und
wenn es in diesem Laden jemand gab, der ihr eine angemessene Geldsumme für den Ring gab, konnte sie reinen Herzens gehen, ohne Schulden für Unterkunft und Verpflegung,
und behielt vielleicht sogar noch ein paar hundert Dollar
übrig.
Vielleicht will ich ihn auch nur loswerden, dachte sie. Vielleicht
will ich nicht noch mal einen Tag damit verbringen, den Buick, den
er nie gekauft hat, am Ringfinger meiner linken Hand mit mir herumzuschleppen.
Das Schild an der Tür trug die Aufschrift LIBERTY CITY KREDITE UND PFANDLEIHEN. Das kam ihr einen Augenblick seltsam vor - sie hatte mehrere Spitznamen für diese
Stadt gehört, aber alle hatten entweder mit dem See oder
dem Wetter zu tun. Dann ließ sie den Gedanken fallen,
machte die Tür auf und trat ein.
2
    Sie hatte damit gerechnet, daß es dunkel sein würde, und es war dunkel, aber es erfüllte auch ein unerwartetes goldenes
Leuchten das Liberty City Kredite & Pfandleihen. Die Sonne
stand schon tief am Himmel, schien direkt die Hitchens entlang und sandte ihre langen, wärmenden Strahlen durch die
Westfenster der Pfandleihe. Einer davon verwandelte ein aufgehängtes Saxophon in ein Instrument, das aussah, als wäre
es aus Feuer gemacht.
    Und das ist kein Zufall, dachte Rosie. Jemand hat das Saxophon absichtlich dort aufgehängt. Jemand, der schlau ist. Das
stimmte wahrscheinlich, dennoch fühlte sie sich ein wenig
verzaubert. Sogar der Geruch des Ladens trug seinen Teil zu
dieser Verzauberung bei - der Geruch von Staub und Alter
und Geheimnissen. Links von sich konnte sie ganz leise viele
Uhren ticken hören.
    Sie ging langsam den Mittelgang entlang, vorbei an Reihen akustischer Gitarren, die an den Hälsen aufgehängt
worden waren, auf der einen, und verglasten Schaukästen
voller Stereoanlagen auf der anderen Seite. Es schien eine
große Zahl dieser übergroßen Kompaktanlagen vorhanden
zu sein, die im Fernsehen immer »Gettoblaster« genannt
wurden.
    Am anderen Ende des Gangs befand sich ein langer Tresen, über dem ein weiteres, halbkreisförmiges Neonschild
hing. GOLD, SILBER, JUWELEN, stand da in Blau zu lesen.
Darunter, in Rot: WIR KAUFEN WIR VERKAUFEN WIR
TAUSCHEN.
    Ja, aber muß man auf dem Bauch gekrochen kommen wie ein
Reptil? dachte Rosie mit der kleinsten Andeutung eines
Lächelns und näherte sich dem Tresen. Ein Mann saß dahinter auf einem Hocker. Er hatte sich eine Juwelierslupe ins
Auge geklemmt. Damit betrachtete er etwas, das vor ihm auf
einem Samtpolster lag. Als sie näherkam, konnte Rosie
erkennen, daß es sich um eine Taschenuhr mit abgeschraubtem Rückteil handelte. Der Mann hinter dem Tresen stocherte mit einem so dünnen Instrument darin herum, daß sie
es kaum erkennen konnte. Er war jung, dachte sie, möglicherweise noch nicht einmal dreißig. Sein Haar war lang, fast
bis zu den Schultern, und er trug eine blaue Seidenweste
über einem schlichten weißen T-Shirt. Sie fand die Kombination ungewöhnlich, aber

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