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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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antwortete Rosie dankbar. »Und ich lade
dich nach der Arbeit im Hot Pot ein - zu Kaffee und Kuchen,
wenn du willst.«
Pam grinste. »Wenn sie noch von der Schokoladentorte
haben, dann will ich ganz sicher.«
Gute Tage - vier Wochen lang gute Tage, mehr oder weniger.
Als sie in dieser Nacht mit hinter dem Kopf verschränkten
Armen auf ihrer Pritsche lag, in die Dunkelheit starrte und
hörte, wie die Frau, die gestern abend gekommen war, zwei
oder drei Pritschen links von ihr leise schluchzte, überlegte
sich Rosie, daß ihre Tage weitgehend aus einem negativen
Grund gut waren: Es gab keinen Norman Daniels. Sie spürte
allerdings, daß bald mehr als seine Abwesenheit erforderlich
sein würde, um sie auszufüllen und zu befriedigen.
Noch ist es nicht soweit, dachte sie und machte die Augen
zu. Im Augenblick genügt mir das. Die einfachen Tage mit Arbeit,
Essen, Schlaf… aber ohne Norman Daniels.
Sie döste ein, löste sich von ihrem bewußten Denken, und
in ihrem Kopf sang Carole King wieder das Schlummerlied,
das sie in den meisten Nächten in den Schlaf wiegte: Ich
bin richtig Rosie … Und ich bin Rosie Richtig … Ihr glaubt mir
besser … Ich bin ziemlich wichtig …
Dann kam die Dunkelheit, und eine Nacht - sie wurden
immer häufiger -, in der es keine Alpträume gab.

III
Vorsehung
    Als Rosie und Pam Haverford am folgenden Mittwoch nach
der Arbeit mit dem Dienstbotenfahrstuhl nach unten kamen,
sah Pam blaß und unwohl aus. »Es ist wegen meiner Periode«, sagte sie, als Rosie ihrer Besorgnis Ausdruck verlieh.
»Ich hab Krämpfe wie ein Tier.«
»Möchtest du auf einen Kaffee mitkommen?«
    Pam dachte darüber nach, dann schüttelte sie den Kopf.
»Geh ohne mich. Ich möchte nur zurück zu D & S, ein freies
Schlafzimmer suchen, bevor alle von der Arbeit zurückkommen und anfangen zu palavern. Ein, zwei Midol schlucken
und ein paar Stunden schlafen. Wenn ich das mache, fühl ich
mich vielleicht hinterher wieder wie ein Mensch.«
    »Ich komme mit dir«, sagte Rosie, als die Fahrstuhltüren
sich öffneten und sie hinausgingen.
Pam schüttelte den Kopf. »O nein«, sagte sie, und ein kurzes Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Ich komme ganz gut allein
zurecht, und du bist alt genug, auch ohne Anstandsdame
eine Tasse Kaffee zu trinken. Wer weiß - vielleicht lernst du
sogar jemand Interessantes kennen.«
Rosie seufzte. Für Pam bedeutete jemand Interessantes immer ein Mann, normalerweise mit Muskeln, die wie geologische Verwerfungen unter den hautengen T-Shirts vorstanden, aber soweit es Rosie betraf, hätte sie den Rest ihres
Lebens auf diesen Typ Mann verzichten können.
Außerdem war sie verheiratet.
Sie betrachtete ihren Ehering und den Verlobungsring mit
dem Diamanten daneben, als sie auf die Straße hinaus gingen. Wieviel dieser Blick mit dem zu tun hatte, was kurze
Zeit später geschehen sollte, dessen war sie nie sicher, aber er
rief ihr den Verlobungsring, an den sie im Normalfall so gut
wie nie dachte, ins Gedächtnis zurück. Er hatte etwas mehr
als ein halbes Karat, bei weitem das Wertvollste, das ihr
Mann ihr jemals geschenkt hatte, und bis heute war sie nie
auf die Idee gekommen, daß er ihr gehörte und sie ihn hergeben konnte, wenn (und auf welche Weise auch immer) sie
wollte.
Rosie wartete trotz Pams Einwänden, daß es vollkommen
unnötig sei, mit ihr an der Bushaltestelle direkt um die Ecke
des Hotels. Es gefiel ihr überhaupt nicht, wie Pam aussah leichenblasse Wangen, dunkle Ringe unter den Augen,
kleine Schmerzfältchen in den Mundwinkeln. Außerdem tat
es gut, sich um jemand anderen zu kümmern, statt umgekehrt. Um ein Haar wäre sie mit Pam in den Bus eingestiegen, um sich zu vergewissern, daß sie den Rückweg wohlbehalten schaffte, aber letztendlich war der Lockruf von
frischem, heißem Kaffee (und vielleicht einem Stück Kuchen) einfach zu stark.
Sie stand am Bordstein und winkte Pam, als Pam sich an
eines der Busfenster setzte. Pam winkte zurück, als der Bus
anfuhr. Rosie blieb noch einen Moment stehen, dann drehte
sie sich um und ging den Hitchens Boulevard Richtung Hot
Pot entlang. Logischerweise schweiften ihre Gedanken zu
ihrem ersten Spaziergang durch die Stadt ab. Sie konnte sich
kaum an jene Stunden erinnern - am deutlichsten erinnerte
sie sich an Angst und Desorientierung
-, aber zumindest
zwei Personen ragten so deutlich auf wie Felsen in Nebelschwaden: die schwangere Frau und der Mann mit dem
David-Crosby-Schnurrbart. Der ganz besonders. Wie er mit
einem Bierkrug in der Hand unter

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