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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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Bernadetta ein und kniete nieder. Es war Samstag, der fünfte Tag der Buti-Schwestern in Santa Margherita. Man hatte sich in Vorbereitung auf den heiligen Sonntag zur wöchentlichen Beichte versammelt. Außerdem würde morgen das Fest des heiligen Laurentius begangen werden. Spinetta klammerte sich an dem Holzrosenkranz fest, den man ihr gegeben hatte; Lucrezias schlichter Rosenkranz dagegen hing schlaff zwischen ihren Fingern. Obwohl es noch früh am Morgen war, begann es bereits schwül und warm zu werden.
    »Es wird sicher bald regnen«, sagte Lucrezia tröstend.
    »Psst.« Spinetta öffnete ihre Wimpern einen Spalt, doch glättete sich ihr Stirnrunzeln, als sie ihre Schwester ansah. »Vergiss nicht, Lucrezia, zwischen der Beichte und der heiligen Kommunion darf nicht gesprochen werden.«
    Abermals musste Lucrezia ihre Schwester beneiden, die sich so scheinbar mühelos ins Klosterleben einfand, der die rhythmischen Gebete so selbstverständlich von den Lippen gingen.
    Lucrezia schloss die Augen und dachte an die weich gepolsterte Kniebank in der Kirche von Santa Maria del Carmine zurück, wohin ihre Mutter sie kurz vor ihrer Abreise nach Santa Margherita gebracht hatte, um noch einmal zu beichten, bevor sie ins Kloster eintrat. Dort hatten ihre Augen die herrlichen Fresken des großen Masaccio erblickt – Szenen aus dem Leben des heiligen Petrus sowie Adam und Evas Verzweiflung bei der Vertreibung aus dem Paradies -, und sie hatte den Monsignore angefleht, ihr ein Leben im Kloster zu ersparen.
    »Ich bin nicht bereit, mein Leben der Kirche zu weihen«, hatte sie geflüstert. »Ich bitte Euch, ich flehe Euch an, Monsignore, helft mir.«
    »Aber dein Leben gehört bereits Gott«, hatte der Kirchenmann streng geantwortet. »Nur seiner Gnade hast du es zu verdanken, dass wir jetzt hier miteinander reden. Dein Schicksal liegt in den Händen des Allmächtigen. Und dort ist es gut aufgehoben.«
    Jetzt, im bescheidenen Kirchlein von Santa Margherita, betrat Lucrezia den stickigen kleinen Beichtstuhl, kniete sich auf eine harte Holzplanke und blickte auf den schwarzen Vorhang, der sie vom Kaplan trennte.
    »Ja, mein Kind?«, sagte Fra Filippo ungeduldig. Er hatte fast die ganze Nacht durchgearbeitet: Der Propst, den er mit seinem klugen Schachzug so gut abgelenkt zu haben glaubte, hatte nämlich unversehens eine Skizze der Synagogenszene, in der er verewigt werden sollte, verlangt, um sie dem Stadtrat zur Billigung vorlegen zu können.
    »Herr Kaplan, ich … ich bin verzweifelt«, stieß Lucrezia hervor.
    Etwas in ihrer Stimme ließ den Mönch aufhorchen. Den ganzen Morgen lang hatte er sich das ermüdende Geschwätz der Nonnen anhören müssen, ihre lächerlichen kleinen Sünden: ein stibitztes Extrabrötchen zum Frühstück, Neid auf eine Mitschwester, und so weiter und so fort. Natürlich kannte er ihre Stimmen. Immer war es die dickliche Schwester Bernadetta, die ihre Finger nicht aus der Speisekammer lassen konnte; immer war es die dürre Schwester Simona, die wegen ihrer ungnädigen Haltung gegenüber schwächeren Mitschwestern vom schlechten Gewissen geplagt wurde. Nur die Mutter Oberin schaffte es gelegentlich, ihn mit ihrem unerklärlichen Ehrgeiz zu überraschen, dem kleinen, unbedeutenden Kloster mehr Bedeutung zu verschaffen. Beständig schickte sie Petitionen an die höhere Geistlichkeit, in denen sie mehr Zuschüsse fürs Kloster oder die Aufnahme in ein Konventskapitel forderte, und war dann zornig, wenn ihre Anträge schlichtweg ignoriert wurden.
    »Seit ich hier im Kloster bin, bin ich vollkommen verzweifelt«, fuhr Lucrezia in einem plötzlichen, ungewollten Gefühlsausbruch fort. »Ich wache morgens auf und fühle mich alt. Alt und bitter. Und wütend.«
    Der Mönch beugte sich näher zum Vorhang. Sein Blick fiel auf den Boden, und er sah eine saubere Stiefelspitze. Die junge Frau begann zu schluchzen, doch Fra Filippo hatte ihre Stimme, ihre gepflegte florentinische Ausdrucksweise, bereits erkannt: Es war Lucrezia.
    »Es ist alles so plötzlich, so schnell gegangen. So überraschend«, schniefte Lucrezia, um Beherrschung bemüht. »Zuerst ist mein Vater gestorben. Dann wurde unser Lager ausgeräumt, um seine Schulden zu begleichen. Und ehe ich’s mich versah, war auch meine Aussteuer weg.«
    »Sprich weiter«, sagte er sanft. Er hätte zu gerne den Vorhang beiseite gezogen und in jenes Gesicht geblickt, dessen traumhafte Augen ihm von zahlreichen Pergamentbögen in seinem Atelier entgegenblickten,

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