Das Bildnis der Novizin
Stockmalvengebüsch, das in voller Blüte stand, blieb sie stehen. Daneben wuchs jede Menge zartes gelbes Johanniskraut. Dort kniete sie sich auf die Wiese.
»Ave Maria, gratia plena.«
Lucrezia, die das Schweigegebot bis zur Messe vollkommen vergessen hatte, begann ihre Bußgebete vor sich hin zu flüstern. Die Sonne schien auf sie herab, und sie hob das Gesicht zum Himmel.
»Gesegnet sei die Frucht deines Leibes, Jesus«, betete sie und musste dabei unwillkürlich an ihren eigenen Leib denken, der nun nie ein Kind empfangen würde. »Heilige Maria, Muttergottes, bitte für uns Sünder.«
Als sie ihre Buße beendet hatte, stand sie auf und blickte blinzelnd zur Sonne empor. Zu ihrer großen Überraschung fühlte sie sich von einer Last befreit, gereinigt.
In diesem Moment trat Schwester Pureza zwischen zwei Sträuchern hervor, als habe sie schon eine ganze Weile dort gestanden. Sie reichte Lucrezia eine Gartenschere und eine Gartenschaufel.
Wortlos folgte die junge Frau der Alten zu einer Stelle des Gartens, an der der Mönchspfeffer in dichten Trauben wuchs. Die Alte zeigte ihr, wie sie die Sträucher zu beschneiden hatte, damit die Beeren- und Blütenernte später umso reichlicher ausfiel. Die Beeren würden, mit Nesseln vermischt, im Mörser zerstampft werden, um daraus eine Tinktur gegen müde, schmerzende Glieder herzustellen. Die Blüten dagegen würden in Duftsäckchen eingenäht und den Gebärenden mitgebracht werden, die Schwester Pureza versorgte.
»Du hattest auch ein Duftsäckchen dabei, Kamille, wenn ich mich recht entsinne«, sagte Schwester Pureza, die dem Mädchen bei der Arbeit zusah. Lucrezia schaute überrascht auf. »Ich habe es zwischen deinen Sachen gefunden und aufgehoben.«
Lucrezia spürte das tröstliche Gewicht ihres silbernen Medaillons, das sie in den Saum ihres Unterhemds eingenäht hatte. Sie nickte.
»Es gehört jetzt dem Kloster«, sagte Schwester Pureza, die es in diesem Moment wichtiger fand, das Vertrauen der jungen Novizin zu gewinnen, als sich an das Schweigegebot zu halten. »Aber das bedeutet nicht, dass du dich an deinen Handarbeiten nicht mehr erfreuen darfst. Es liegt in der Infermeria, wo du jederzeit hingehen darfst, falls du Ruhe brauchst.«
Während Lucrezia den Mönchspfeffer beschnitt, schritt Schwester Pureza in ihrem Reich umher und strich mit ihren alten, abgearbeiteten Händen über die Blätter der eingetopften Kräuter: Myrte, Henna, Zitronenbaum, Lorbeer. Sorgfältig musterte sie die Blätter und Blüten, um zu prüfen, ob sie die Pflanzen noch einen Mondzyklus lang draußen stehen lassen durfte. Unverständliche Worte vor sich hin murmelnd, begutachtete sie die weichen Blätter der Begonie, die glänzende grüne Schale der kleinen, noch nicht ausgereiften Limetten.
In Lucrezia, die allmählich in einen angenehmen Arbeitsrhythmus verfiel, begann sich ein Gefühl tiefen Friedens breitzumachen. Sie schnitt die Ästchen an ihrer Verzweigung zurück, sammelte die Blüten in einem Säckchen und die Beeren in einem Korb. Bald schon arbeiteten ihre Hände wie von allein und ihre Gedanken schweiften zurück zur Beichte. Stimmte es, was der Kaplan gesagt hatte? War es wirklich keine Sünde, sich nach Schönheit und Glück zu sehnen? Selbst hier im Kloster? Und hatte Schwester Pureza ihr nicht dasselbe sagen wollen, als sie meinte, sie habe ihr Duftsäckchen für sie aufgehoben?
In den Tagen seit ihrer Ankunft war Lucrezia dem liturgischen Tagesablauf mechanisch, fast betäubt, gefolgt: von der Kirche zum Essen ins Refektorium, zum Arbeiten in den Garten, zum Gebet. Abends war sie halbtot auf ihre harte Pritsche gesunken, nur um in den frühen Morgenstunden, lange vor Sonnenaufgang, aus unruhigen Träumen gerissen und wieder zum Gebet gerufen zu werden.
Jetzt, in der Hitze des Tages, in der Stille des Gartens, der Wartezeit, die dem Sonntag vorausging, begann sich etwas in Lucrezias Herz zu regen.
Sie fühlte sich wie eine scheue Blume, die ihren Kopf aus der Erde reckte. Und als Schwester Pureza, die gerade dabei war, einen großen Topf in den Schatten zu ziehen, aufblickte und sah, wie sich Lucrezias Züge entspannten, dankte sie Gott, dass das Mädchen seinen Widerstand aufgegeben hatte.
Nun würde sie die Last des Schleiers leichter tragen.
4. Kapitel
Am Namens fest des heiligen Laurentius, im Jahre des Herrn 1456
F ern der friedvollen Stille des Klostergartens, hinter den prächtigen Mauern des Palazzo Medici, herrschte weder Stille noch Frieden.
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