Das Bildnis der Novizin
Italien steckte inmitten eines erbitterten Tauziehens zwischen den bedeutenden Staaten Mailand, Venedig, Neapel und der Republik Florenz – und Rom, dem Sitz des obersten Kirchenfürsten. Erst am selben Morgen war ein Bote mit einem Brief aus Neapel eingetroffen, von König Alfonso an den großen Cosimo de Medici. In diesem Brief forderte der Monarch den führenden Machthaber von Florenz auf, sich definitiv zu seiner Allianz mit Neapel zu bekennen. Es sei von größter Wichtigkeit für Florenz, dass es zu dieser Allianz käme, denn nur zusammen mit Neapel und Mailand könnten sie gegen die übermächtige Allianz zwischen Papst Kalixt III. und den Dogen von Venedig bestehen. Zwar sei der Papst alt und leidend, dennoch würde es zu dieser Allianz kommen, und die Macht des Vatikanstaats, zusammen mit der des Stadtstaates Venedig, könne wohl kaum unterschätzt werden.
Florenz müsse sich schnell entscheiden.
Cosimo de Medici saß in einem hochlehnigen Stuhl vor seinem prächtigen Mahagonischreibtisch und sprach mit großer Dringlichkeit auf seinen Emissär, Ser Francesco Cantansanti, ein.
»Sagt Lippi, ich muss unbedingt Fortschritte sehen«, instruierte er Cantansanti und schlug mit seiner fleischigen Pranke auf den Tisch. »Sagt ihm das klar und deutlich.«
Cosimo de Medici, der Kopf der mächtigen Bankiersfamilie und De-facto-Herrscher über Florenz, war ein untersetzter Mann von einigem Temperament. Mit Schläue und viel Geld war es den Medici in den letzten dreißig Jahren gelungen, ganz nach oben zu gelangen. Cosimos Vater, Giovanni di Bicci, hatte sein Vermögen als Kaufmann gemacht und war zum Gonfaliere der Republik ernannt worden. Und Cosimo hatte selbst die wildesten Träume seines Vaters noch übertroffen, hatte Einfluss und Vermögen der Familie systematisch vermehrt. Es war sein Plan, seinen ältesten Sohn, Giovanni, nach Neapel zu schicken, um die Position der Familie am Hof des Königs zu sichern. Und er wollte, dass dieser ein Bild im Gepäck hatte, ein Geschenk, etwas derart Spektakuläres, wie es selbst König Alfonso noch nie gesehen hatte.
Und hier kam Fra Filippo Lippi ins Spiel. Sein Bild sollte die Allianz zwischen Florenz und Neapel ein für alle Mal besiegeln.
»Wir haben dem Maler bereits dreißig Goldflorin gegeben, und Ihr habt mein Geld großzügig für Lapis und Gold ausgegeben. Diese Arbeit muss die beste werden, die der Mönch je geschaffen hat. Die beste Arbeit, die Alfonso je gesehen hat.«
Ein Sonnenstrahl fiel durch ein hoch angebrachtes Fenster und ließ den breiten Goldring auffunkeln, den Cosimo an seinem dicken kleinen Finger trug. Der Banker, dessen fleischigem Gesicht man den Wohlstand ansah, hatte seinen Sohn mit diesem wichtigen Auftrag betraut. Doch leider war Giovanni noch jung und besaß nicht das sichere Auftreten eines Mannes von Macht und Einfluss. Und Cosimo war kein geduldiger Mensch. Der Blick, mit dem er seinen Emissär bedachte, machte unmissverständlich klar, dass er von Ser Francesco erwartete, in diesem Falle die Muskeln des mächtigen Medici-Clans spielen zu lassen. Wie schon so oft in der Vergangenheit.
»Papst Kalixt III. wird zu seinem Bündnis mit Venedig und dem Dogen stehen«, sagte Cosimo. »Und Mailand ist bereits mit Neapel alliiert. Wir müssen schleunigst unsere Position sichern. Und das geht nicht ohne dieses Bild.«
Er bedeutete seinem Sekretär mit einem Wink, den Entwurf des Triptychons zu holen, den Fra Filippo im Mai 1456 zusammen mit dem Vertrag geschickt und damit den Auftrag besiegelt hatte. Cosimo breitete die Pergamentbögen auf dem Tisch aus.
»Wir müssen in Neapel sein, bevor Sforza von Mailand gegen uns intrigieren kann, und das wird er mit Sicherheit versuchen«, erklärte Cosimo. »Es war abgemacht, dass das Bild in einem Jahr fertig sein soll. Aber jetzt ist der Sommer fast zu Ende, und wir haben noch immer nichts von Lippi gehört.«
Cosimo verstand besser als jeder andere, was man mit der Macht der Feder – oder des Pinsels – erreichen konnte. Unter seiner Ägide war die Stadt prächtiger geworden, als es ein Ort seit der Herrschaft der römischen Cäsaren gewesen war. Poesie, Philosophie, die Wissenschaften, Humanismus, das alles florierte unter seiner Herrschaft: Brunelleschis herrliche Kuppel in der Kathedrale von Florenz, Ghibertis atemberaubende Bronzetore vor dem Baptisterium. Michelozzos Paläste verschönerten die Straßen von Florenz, und Ghirlandaios spektakuläre Fresken zierten die Wände des
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