Das Bildnis der Novizin
jenes traurige Lächeln, das nun seine Madonna mit Kind zierte.
»Ich wollte nie Nonne werden.« Lucrezia schluckte. »Ich erwartete das Leben einer florentinischen Edeldame zu führen.«
Solche Klagen hörte Fra Filippo nicht zum ersten Mal, und jedes Mal musste er dabei an seinen eigenen, widerwilligen Eintritt ins Kloster denken, an seine Zweifel in Bezug auf seine Fähigkeit, sich den strengen Klosterregeln unterwerfen, ein Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam führen zu können.
»Es ist keine Sünde zu zweifeln, das ist nur menschlich«, sagte er schließlich. Er hatte eine tiefe Stimme, die Lucrezia tröstete und beruhigte. Er klang wie die florentinischen Künstler, die sie gekannt hatte.
»Mit Worten habe ich alles aufgegeben«, fuhr sie zögernd fort, »aber im Herzen habe ich immer noch so viele Wünsche, so viele Sehnsüchte. Meine Gedanken sind weder rein noch demütig, Bruder.«
Der Mönch wusste einen Moment lang nicht, was er darauf sagen sollte.
»Sprich weiter, Schwester. Erzähl mir von diesen Wünschen und Sehnsüchten.«
»Ich weiß, es ist eine Sünde, aber ich vermisse die schönen Stoffe mit ihren herrlichen Farben und Mustern aus dem Geschäft meines Vaters. Ich wünschte mir ein schönes Hochzeitskleid aus feinster Seide. Ich wollte meine Kinder in kostbare Decken hüllen, die ich selbst bestickt habe. Wie soll man fromm und gütig sein, wenn man so viel verloren hat?«
Erschrocken wartete sie auf das Donnerwetter des Kaplans.
»Sprich weiter.«
»Ich vermisse meine Welt.« Lucrezia kam sich dumm und töricht vor, doch sie konnte nicht aufhören zu reden. Alles, was sich seit Tagen in ihr aufgestaut hatte, brach sich nun Bahn. »Ich will das Perlenarmband, das ich zur Taufe bekommen habe, ich will den blauen Krug, mit dem uns Mutter immer Saft eingeschenkt hat. Ich will meine Mutter. Ich will meinen Vater.«
Sie brach ab, mühsam nach Atem ringend.
»Warum verlangt Gott von mir, dass ich das alles aufgebe«, fuhr sie schluchzend fort, »ohne mir zu zeigen, wie ich es schaffen kann?«
Diese Frage war es, mehr als alles andere, die dem Mönch ins Herz schnitt. Hatte er nicht selbst dieselbe Frage gestellt, nur wenige Stunden bevor er Lucrezias Gesicht erblickte?
»Ich bin nur ein einfacher Vermittler zwischen Gott und den Menschen«, sagte er, sobald er seine Stimme wiedergefunden hatte. »Aber ich bin davon überzeugt, dass Gott ein Herz hat für jene, die sich nach Schönheit sehnen.«
Er schwieg, wählte seine Worte sorgfältig. »Es ist keine Sünde, sich diese Dinge zu wünschen«, fuhr er fort, »selbst hier im Kloster finden wir Schönheit und Kunst und Freude.«
Der Kaplan klang irgendwie anders. Lucrezia beugte sich unwillkürlich vor.
»Gott hat die Welt so schön erschaffen. So schön.« Fra Filippo schloss die Augen und malte sich aus, wie der Vorhang zwischen ihnen verschwand und er ins Antlitz der Novizin blicken konnte.
»Es ist keine Schande, die Welt schön zu finden und ihre Schönheit feiern zu wollen.« Er suchte nach den richtigen Worten, zwang sich, seine Aufgabe als geistlicher Beistand nicht zu vergessen. »Die heiligsten, größten Männer wussten, dass diese Welt ein speculum majus , ein Spiegelbild des Himmels, ist. Die Schönheit, die wir hier vorfinden und die wir hier schaffen, gefällt Gott, denn sie macht diese Welt seinem Reich ähnlicher.«
Lucrezia wartete.
»Gott hat für jeden von uns einen Plan, mein Kind. Ich maße mir nicht an, diesen Plan zu kennen, aber ich weiß, dass wir ihm vertrauen müssen. Wir müssen darum beten, dass er uns diese Schönheit, die Schönheit seiner Schöpfung, offenbart. Vertrau auf Gott, mein Kind. Er sieht alles, er weiß alles.«
Fra Filippo brach ab. Lucrezia schwieg.
»Denk an die Worte des heiligen Paulus: Sich Gott hinzugeben, sich ihm auszuliefern, ist etwas Heiliges. Hier im Kloster Santa Margherita, unter deinen Mitschwestern, wirst du ein schönes Leben haben.«
Sie sagte immer noch nichts. Der Mönch hörte Spinetta husten, die beharrlich auf dem kalten Steinboden kniete und darauf wartete, an die Reihe zu kommen.
»Du wirst zur Buße zwanzig Ave Maria beten.«
»Ja, Bruder.«
»Bete sie draußen, in der Sonne, im Garten. Und suche dabei nach der Schönheit von Gottes Schöpfung.«
Lucrezia schlüpfte an ihrer Schwester vorbei und ging stumm hinaus in den Garten. Es war ein schöner, sonniger, warmer Tag, nicht zu heiß, mit einem strahlend blauen, wolkenlosen Himmel. Vor einem dichten
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