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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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gehässiges kleines Lachen aus. »Außer natürlich, sie sind nur für die Auserwählten sichtbar.«
    Als Propst und Rektor des Stefansdoms war Inghirami das mächtigste Kirchenoberhaupt der Stadt. Neben seinen klerikalen Pflichten oblag ihm die Obhut über die heiligste Reliquie von Prato: den Heiligen Gürtel der Jungfrau Maria, von dem es hieß, er besitze wunderwirkende Kräfte. Er wurde jährlich von Hunderten von Pilgern besucht, deren großzügige Almosen es dem Domkapitel erlaubten, kostspielige Fresken und sonstige Verschönerungen der Kathedrale in Auftrag zu geben.
    Fra Filippos Freskenzyklus für die Hauptkapelle war der bedeutendste dieser Aufträge.
    »Wie schön! Ich wollte Euch ohnehin die Fortschritte meiner Arbeit zeigen, mein guter Propst«, sagte der Mönch, warf dem Männlein seinen Bärenarm um die schmalen Schultern und wendete ihn kurzerhand zur Piazza um.
    »Fortschritte?«, brummte Inghirami überrumpelt. »Ich hab nichts dergleichen gesehen.«
    »Dann habt Ihr, mit Verlaub, eben nicht genau genug hingeschaut, Pater.«
    Fra Filippo hatte fünfhundert Goldflorin für den halbfertigen Freskenzyklus erhalten und würde nach dessen Fertigstellung noch einige hundert mehr bekommen. Aber anstatt die Arbeit, wie versprochen, in drei Jahren fertigzustellen, hatte er noch einen zusätzlichen Auftrag übernommen, den Entwurf neuer Buntglasfenster für die Hauptkapelle des Doms. Außerdem arbeitete er an mehreren Aufträgen der Familie Medici, und dann war da ja noch das Madonnenbild für de Valenti, das fertig werden musste, bevor bei der Kaufmannsgattin die Wehen einsetzten.
    »Lasst uns zusammen hingehen«, erklärte der Mönch. »Dann erkläre ich Euch ganz genau, wo ich weitergearbeitet habe.«
    Einen Arm fest um die schmalen Schultern Inghiramis gelegt, führte Fra Filippo ihn über den Domplatz. An diesem warmen Sommertag wimmelte es dort von Dienstboten – Hausmädchen, Botenjungen – aus den großen Palazzi des Santa-Trinita-Viertels. Kräftige Kaufmannsgattinnen eilten vom und zum Markt, und Mönche in Sandalen schlurften über den Domplatz.
    Im Stefansdom war es merklich kühler als draußen in der flirrenden Sommerhitze. Auch roch es angenehm nach Weihrauch und Kerzen. Beiden Männern lief der Schweiß den Nacken hinunter, während sie durchs Halbdunkel des Hauptschiffs auf den Altar zugingen, vor dem sie sich kurz verbeugten, um ihn dann zu umgehen und dahinter im Kapellenkranz zu verschwinden.
    Die Hauptkapelle wurde von einem groben Gerüst dominiert und einem großen, offenen Fenster in der Rückwand. Hilfsmaler liefen geschäftig hin und her, darunter zwei Glashandwerker aus dem Florentiner Atelier von Fra Lorenzo da Pelago. Diese beiden Künstler standen vor einem langen Holztisch und studierten Fra Filippos Entwurf für das neue Buntglasfenster, das das alte ersetzen würde, das Inghirami bereits hatte entfernen lassen.
    »Seht Ihr, es wird alles so gemacht, wie Ihr es wünscht.« Der Maler redete auf den Propst ein, während er gleichzeitig seine jungen Helfer begrüßte und sich die Entwürfe für das Fenster ansah. »In der Lünette wird der Gürtel der Madonna verherrlicht – und damit natürlich, indirekt, die langen Jahre Eurer sorgsamen Obhut.«
    Inghirami nickte widerwillig, während ihm der Maler die Details des herrlichen Fensters schilderte, auf dem die Übergabe des Gürtels an den heiligen Thomas zu sehen sein würde.
    »Die Fertigung des Fensters wird viele Jahre in Anspruch nehmen«, warf sich Fra Filippo in die Brust, »aber mit meinem Freskenzyklus bin ich schon ein gutes Stück weiter!«
    Der aufwändige Zyklus, der die gesamte Kapelle von der Nord- bis zur Südwand einnehmen würde, sollte wichtige Szenen aus den Leben von Johannes dem Täufer und vom heiligen Stephanus, dem Schutzpatron des Doms, abbilden, beginnend mit der Geburt des heiligen Stephanus oben an der Nordwand und endend mit der Übergabe des Tabletts mit dem Kopf des enthaupteten Täufers an König Herodes unten an der Südwand.
    Unter Verwendung einer reichen Palette von Grün und Gold, gewagter Perspektiven und animiertem Mienenspiel, das seinen Figuren eine nie gekannte Lebendigkeit verlieh, würde dieser Freskenzyklus den bisherigen Höhepunkt von Fra Filippos Schaffen bilden. Doch obwohl er nun schon seit mehreren Jahren an dem Zyklus arbeitete, lebten die Figuren größtenteils in seiner Vorstellung und nicht auf der Wand. Einzig die Szene, in der sich Johannes der Täufer von seinen Eltern

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