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Das bin doch ich

Das bin doch ich

Titel: Das bin doch ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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tausendfach an anderen Musikhörenden gesehen habe: die Nein-Bewegung des Kopfes. Mit geschlossenen Augen lauscht sie, dazu wiegt sie den Kopf. Alles an ihrer Miene ist Hingabe, doch wie fast bei allen Menschen, die Musik hören, sagt ihre Mimik ein leidendes Nein. Es drückt Leidenschaft aus, aber wieso ein Nein? Wieso nicht Ja? Nie werde ich das verstehen.
    Und noch etwas fällt mir auf: Wie alle DJ s steht sie da und besitzt die Musik. Den Menschen, die hier ringsum sitzen und stehen, ist sie aus ihrer Sicht überlegen. Was sie uns vorspielt, das ist sie . Die Musik gehört ihr, und deshalb ist sie besser , besser jedenfalls als ohne die Musik. So wie manche Leute Handke besitzen oder meinetwegen Arno Schmidt.
    Das fünfte Bier hat mir sichtlich nicht gutgetan, und weil ich heute ohnehin schon weiter gekommen bin als in den Monaten zuvor, lege ich den Kugelschreiber weg. Mich starrt ein junger Kerl an. Ein Bier in der Hand, steht er da und starrt, er sieht aus wie ein Hillbilly, lange fettige Haare, abgerissene Kleidung, die hungrigen Augen des Schwätzers. Ich sehe ihn und weiß im selben Moment, was passieren wird.
    »Darf ich dich stören?« fragt er und setzt sich neben mich. »Ich will dich nicht stören, aber ich sehe, du schreibst. Bist du Schriftsteller? Menschen, die sich etwas notieren, sind nachdenklicher als andere, und ich fühle mich wohler unter ihnen, ich gehöre zu ihnen. Gewissermaßen gehören wir beide zusammen…«
    Ich sage nichts. Er starrt mich an wie ein Uhu. Ich lächle, drehe mich weg. Er bleibt sitzen. Starrt.
    Mir ist nicht danach, mir den Abend ruinieren zu lassen, ich stehe auf, zahle, ich habe nicht die Kraft und nicht den Willen, höflich zu sein. Draußen ist es kühl, es regnet, ich spanne den Schirm auf. Ich möchte wirklich wissen, wieso sie immer, immer, immer mich auswählen, überall, in der U-Bahn, auf der Straße, im überfüllten Lokal.

Neunzehn
    In der Nacht vor dem dritten und letzten Tag des Flugangstseminars schlafe ich schlecht. Ich habe solche Angst vor dem bevorstehenden Flug, daß ich mich von einer Seite auf die andere wälze, nichts beruhigt mich, keine Tricks, keine Selbstbeschwichtigung, kein Musikhören. Ich frage mich, ob es das gewesen ist. Ob ich am Abend abstürzen, ob ich sterben werde. Auf dem Weg nach Brüssel. Oder auf dem Rückweg.
    Und dann bekommt Stanislaus einen Weinkrampf. Plötzlich brüllt er auf, beginnt zu weinen, und nun ist er es, der durch nichts zu beruhigen ist. Er weint und weint und schreit immerzu: »Nein!« Und ab und zu: »Papi!«
    Natürlich bedeutet das, er hat Vorahnungen. Ich werde abstürzen.
    Wenigstens verstehe ich jetzt endlich, nach so vielen Jahren, den Schluß von Winnetou . Ich hatte mich schon immer gefragt, wieso Winnetou, wenn er Todesahnungen hat, sich trotzdem darauf versteift, den Kampf gegen die Ogellalah anzuführen, als erster am Seil in den Hancock-Berg hinabzuklettern, zumal ja Scharlieh ihn anbettelt, am Kampf nicht teilzunehmen, er würde die entführten Siedler schon ohne ihn befreien. Auch ich kann jetzt nicht daheim bleiben und die anderen Neurotiker allein nach Belgien fliegen lassen. Ich würde mich so elend fühlen, wenn das Flugzeug nicht abstürzt. Da gehe ich lieber das Risiko ein, daß meine bösen Ahnungen zutreffen. Denn eine kleine Chance besteht ja, davonzukommen. Nicht jede Maschine stürzt ab.
    Irgendwie bekomme ich doch ein wenig Schlaf. Als der Wecker läutet, finde ich mich nicht zurecht. In der Sekunde, in der ich an den Flug denke, bin ich hellwach.
    Ich ziehe mein Nacht-T-Shirt aus. Eigentlich wollte ich es zur Wäsche geben, doch jetzt fällt mir auf, was für ein Zeichen das wäre: Ich lege es ab, und ein neues liegt nicht bereit. Also werfe ich es aufs Bett.
    Das gleiche im Bad, nach dem Duschen will ich mein Badetuch in den Wäschekorb stopfen. Bis mir zum Glück einfällt, daß ich ja wiederkommen will. Ich darf es mir nicht erlauben, irgend etwas fertigzumachen. Sonst wird es passieren, sonst wird Else danach überall Zeichen gesehen haben. Das Badetuch hat er weggegeben, das T-Shirt hat er weggegeben… – es war klar, er kommt nicht zurück. Nein! Ich muß mein Schicksal selbst mitgestalten. Borges hat einen Satz geschrieben, den ich schon als Kind, also lange ehe ich ihn kannte, verinnerlicht hatte, an den ich immer schon geglaubt habe: »Die Wirklichkeit pflegt mit dem Vorausgesehenen nicht übereinzustimmen. Daraus folgt, daß etwas vorhersehen soviel heißt wie

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