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Das bin doch ich

Das bin doch ich

Titel: Das bin doch ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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sich in letzter Zeit so eingebürgert. Im Supermarkt kaufe ich Himbeeren. Das Plakat darüber fasziniert mich:
    Himbeeren! 1 Becher: 1,99 € 2 Becher: je 0,99 €
    Erst halte ich es für einen Witz. Aber es ist ein gedrucktes Plakat, das hat nicht irgend jemand aus der Obst- und Gemüseabteilung mit Kreide rasch auf eine Tafel gekritzelt. Es ist eines jener Plakate, die in allen Filialen im ganzen Land aufgehängt werden.
    Weil ich es nicht glauben kann, frage ich eine Verkäuferin. Sie bestätigt mir: Wenn ich einen Becher nehme, kostet er 1,99 €. Wenn ich zwei nehme, kostet jeder davon 0,99 €. Weiter fällt ihr nichts auf.
    Auf dem Nachhauseweg fliegt mir irgendein Insekt an den Kragen. Automatisch greife ich hin, streife es von meinem Hals, in dieser Sekunde spüre ich ein schmerzendes Brennen. Vor mir am Boden zappelt eine Wespe. Das Mistvieh hat mich gestochen.
    Der Hals schmerzt enorm. Es brennt höllisch. Und ich weiß nicht einmal, ob ich gegen Wespenstiche allergisch bin oder nicht.
    Panik. Wie ist das mit dem anaphylaktischen Schock? Man bricht zusammen und erstickt, oder? Wenn mir das jetzt passiert, wer soll mir helfen? Die Leute gehen doch vorbei, wenn jemand erstickt, weil sie glauben, da macht ein Besoffener Theater (schon deshalb trage ich gern mal Krawatte).
    Ich meine ein leichtes Würgen im Hals zu spüren. Seit einiger Zeit weiß ich, daß ich gegen Flieder (und noch so einiges, was blüht) allergisch bin, und von daher kenne ich dieses Würgen, es ist ein Allergiewürgen.
    Die Einkaufstüte schleudernd, in der die Himbeeren herumfliegen, renne ich so schnell ich kann in Richtung nächste Apotheke. Ich muß es schaffen. Nicht vorher zusammenbrechen. Wenn ich erst dort umkippe, kann mir vermutlich jemand helfen.
    Ich schaffe es. Eine hübsche junge Apothekerin fragt, wie sie mir helfen kann. Ich zeige ihr die Stichstelle: »Wespe… gestochen…«
    »Aha«, sagt sie freundlich, »na, dann nehmen Sie Insecticum . Ein kühlendes Gel, bewirkt das Abschwellen des…«
    »Nehme ich. Aber bitte, sagen Sie, wie lange dauert es, bis ich merke, ob ich… na ja… Allergie…«
    »Was Sie meinen, geht sehr schnell. Wann wurden Sie gestochen?«
    Ich schaue auf die Uhr. »Vor drei Minuten!«
    »Normalerweise geht das sehr schnell. Wenn Ihnen nicht innerhalb einer Viertelstunde schwindlig und übel wird… Nach einer Stunde spätestens müßten Sie etwas gemerkt haben.«
    Ich kaufe das Gel, schmiere es mir gleich auf der Straße auf die Haut. Und jetzt? Nach Hause gehen? Ich schaue auf die Uhr: sechs Minuten.
    Ich lungere vor der Apotheke herum, um im Bedarfsfall hineinlaufen zu können. Durch das Fenster sehe ich, wie sie mich beobachten. Wahrscheinlich reden sie. Mir egal. Ich gehe lieber auf Nummer Sicher.
    Nach einer halben Stunde, in der das Würgen weder stärker geworden ist noch nachgelassen hat, wage ich mich weg. Weiter als bis zum a² jedoch nicht. Dort bringe ich den zweiten Teil der Stunde rum, dann gehe ich nach Hause. Niemand da. Ich schaue mir die Einstichstelle an. Nicht mehr geschwollen. Überhaupt nichts mehr zu sehen. Gutes Mittel, dieses Insecticum .
    Ich lege mich hin. Eine Stunde, zwei, es beginnt zu regnen, Else und Stanislaus kommen nach Hause, sie haben meine Mutter zum Zug begleitet. Ich spiele eine halbe Stunde mit Stanislaus, ich lasse den »Kitzelflieger« erscheinen und mache Faxen. Dann ist es neun, der Kleine geht schlafen, und ich sperre mich wieder im Arbeitszimmer ein.
    Ich nehme die Notizen, die ich bis jetzt für meinen nächsten Roman gesammelt habe, es sind ungefähr zwanzig DIN -A4-Zettel. Ich lese sie. Ja, klingt alles gut. Ich will jetzt arbeiten.
    Draußen Gewitter, der Regen kommt mir waagrecht entgegen. Die Zettel unter der Jacke geschützt, laufe ich vorbei am a² , hinter dessen Fenstern ich die üblichen Verdächtigen sehe, die mir das Arbeiten schwermachen würden. Ich laufe zehn Minuten, bis ich am Kiosk ankomme, einem lauten Laden, in dem es Qualitätswürste gibt. Ich bestelle eine Bosna und ein Bier und mache mich an die Arbeit.
    Ein weiblicher DJ zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Das Mädchen ist ungefähr zwanzig, dick, nicht besonders attraktiv, schwarz gekleidet, sie legt passable Sachen auf. Ich stehe ja all dieser Jugendkultur fern bzw. finde alles, was unter alternative bekannt ist, eher langweilig. Aber die Musik hier paßt gerade, und ich beobachte in Nachdenkpausen die Frau an den Mischpulten. Sie hat Kopfhörer auf und macht, was ich schon

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