Das bin doch ich
sperre mich in der Toilette ein. Über diese winzige Zelle haben mir sogar Menschen ohne Flugangst berichtet, sie würden sie nur ungern betreten. Ich stehe da, pinkle, horche in mich hinein, finde keine Angst. Es ist seltsam.
Ich setze mich wieder. Eine wunderschöne junge Flugbegleiterin bringt mir Kopfhörer. Die Schonbezüge fallen ab, und ich versuche ungefähr zehn Minuten lang, sie wieder dranzukriegen. Schließlich gebe ich es auf, meine Feinmotorik ist nicht besser als die eines Menschen mit Gipsarm. Das ist der Moment, in dem mich die Flugbegleiterin ins Cockpit holt.
Die Piloten begrüßen mich, sie sitzen so entspannt, als wären sie irgendwo in einer Eisdiele. Kapitän Wolfauer sagt, wir hätten 100 km/h Seitenwind, was ich erstaunlich finde, denn man merkt nicht das Geringste davon.
Als wir über 8500 Meter kommen, muß ich daran denken, daß sich in dieser Höhe Menschen bewegen, daß mein Freund Gerfried Göschl, der ohne Sauerstoff auf dem Everest war, sich immer wieder in diese Höhe wagt. Der Kerl muß verrückt sein.
Ich sehe zum ersten Mal in meinem Leben die Erdkrümmung. Meine Ohren knacken, ich sage danke und mache einem der anderen Teilnehmer Platz. Es ist der Mann mit dem Silberblick. Wirkt vollkommen weggetreten. Besorgt warte ich, ob ich meine schwachen Kräfte einsetzen muß, um beim Niederringen eines Wahnsinnigen zu helfen. Als ich in den Passagierbereich zurückkehre, nehme ich die Blicke eines orientalisch aussehenden Mannes auf, der im Koran liest. Er sieht beunruhigt aus, mißtrauisch verfolgt er das Kommen und Gehen im Cockpit.
Der Landeanflug auf Brüssel. Mein Puls steigt wieder. Wir ziehen Schleifen. Kurvenfliegen, stelle ich fest, gefällt mir nicht so gut wie Geradeausfliegen. Wir sinken, sinken, neben uns sieht man Häuser, und ich denke fröhlich: Jetzt wäre es gut, wenn da unten eine Landebahn wäre. Ich lache hysterisch.
Das Flugzeug setzt auf, bremst ab, ich bin in Brüssel.
In der nächsten halben Stunde plündert unsere Gruppe die Duty-free-Shops. Ohne Angst gehe ich zurück in die Maschine. Wir starten, wir fliegen nach Wien, wir landen, wir verabschieden uns voneinander.
Ich setze mich in den CAT und rufe Daniel an. Er fragt mich, ob ich stolz bin, ich sage nein. Es ist ja nicht mehr als die Rückkehr zur Normalität, die ich geschafft habe, und keine Heldentat. Aber froh bin ich doch, und glücklich, am Leben zu sein. Ich habe nämlich ein naßgeschwitztes Exemplar der Presse dabei, in dem mein Roman vorabgedruckt ist.
Zwanzig
Furchtbar geschlafen. Den ersten Teil der Nacht hatte ich Angst vor Gespenstern. Dann kam Stanislaus, die Angst ging weg, dafür wurde ich den Rest der Nacht getreten, doch besser Tritte als Angst. Außerdem kann ich derzeit sowieso nicht gut schlafen, denn es dauert nicht mehr lang. In vier Wochen erscheint Die Arbeit der Nacht . Die Jury des Deutschen Buchpreises hat die Exemplare bekommen, der Verlag ist guter Dinge. Die Shortlist könnte zu schaffen sein. Aber niemand will etwas verschreien.
Ich sehe mir die Homepage des Deutschen Buchpreises an. Diese Jury, was sind das für Leute?
John von Düffel , Schriftsteller. Ein Kollege also. Er und ich waren unter den etwa zwanzig Teilnehmern der Bayerischen Literaturtage 1999. Ich kenne seine Sachen nicht gut genug, um beurteilen zu können, ob er mag, was ich schreibe.
Volker Hage , Journalist beim Spiegel . Geschrieben hat er noch nie über mich. Ob der etwas mit der Arbeit der Nacht anfangen kann?
Elmar Krekeler , Journalist bei der Welt . Vor sechs Jahren habe ich für ihn einen Artikel über Fußball gemacht. Kann nicht einschätzen, was er mag.
Terézia Mora , Schriftstellerin. Hat den Bachmannpreis gewonnen. Keine Ahnung, ob Bachmannpreisgewinner mit meiner Literatur zurechtkommen, umgekehrt sieht es nämlich nicht so gut aus.
Pia Reinacher , Germanistin. Da mache ich mir keine Sorgen, eine Schweizerin und Germanistin, die mag mein Buch. Na ja, oder auch nicht.
Stephan Samtleben , Buchhändler. Ein Buchhändler! Der ist bestimmt auf meiner Seite.
Denis Scheck , Literaturredakteur beim Deutschlandfunk. Daniel erzählt mir, Scheck hat die Vermessung der Welt vor einem Jahr über die Maßen gelobt. Seit ein paar hunderttausend Exemplare verkauft wurden, äußert sich Scheck in seiner Sendung von Monat zu Monat schlechter über dasselbe Buch. Neulich sagte er sogar, es sei ein Buch ohne jede Relevanz. Na ja. Ich muß ja nicht alle Stimmen kriegen.
Ich gehe über den
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