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Das bin doch ich

Das bin doch ich

Titel: Das bin doch ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Schädel ist okay, zeigt das Röntgen. Wir gehen in den OP . Wir sind zu viert, neben Else und mir ein Arzt und eine Ärztin. Der Arzt ist schwarz und aus Ghana, die Ärztin ist weiß und aus Serbien. Sie ist die, die nähen wird. Der Arzt ist der, der Stanislaus’ Kopf halten wird. Ich bin der, der Stanislaus’ Körper halten wird, deswegen bekomme ich eine Plastikhaube und einen Mundschutz, so wie sie die Ärzte auch tragen. Else schließlich ist die, die bei Stanislaus unter der Folie liegt, um ihn zu streicheln und zu beruhigen.
    Ich setze mich auf den OP -Tisch und halte die kleinen Arme und Beine fest, dann geht es los. Sie träufeln ihm ein Anästhetikum auf das Ohr. Er bleibt ruhig. Sie gehen daran, die Wunde zu säubern. Er bleibt ruhig. Dann der erste Stich. Jede Naht besteht aus zwei Stichen. Ab jetzt brauche ich meine ganze Kraft, um Stanislaus niederzuhalten. Der Arzt redet sanft auf ihn ein, er ist nett. Die Ärztin fragt mich, ob ich ihr wohl nicht vom Tisch kippe, ich sage, es geht schon, aber ich muß mich zusammenreißen.
    Die nächste Naht, Schreien und Weinen. Unter den OP -Lampen wird mir immer heißer. Die dritte Naht, also die Stiche fünf und sechs. Stanislaus heult, ich erkenne die Stimme kaum. Minuten vergehen, alle Beteiligten sind sichtlich angeschlagen. Vierte Naht. Er weint und zuckt. Und dann noch eine, die fünfte und letzte. Stanislaus wird verbunden. Mir tut alles weh, ich ziehe mir das Plastikzeug von Kopf und Gesicht, nehme Stanislaus auf den Schoß und kneife ihn in die Seite. Er lacht.
    Im Auto schläft er vor Erschöpfung ein. Ich betrachte ihn im Rückspiegel, sein Gesicht, die entspannten Züge. Ohne zu wissen warum, kaufe ich einem Kolporteur an der Kreuzung eine Zeitung von morgen ab. Else und ich reden leise. Im nachhinein sind wir froh, wenigstens ist nichts noch Schlimmeres passiert. Ich bin ein wenig stolz, nicht umgekippt zu sein, durchgehalten zu haben. Aber nur so lange, bis ich höre, was Else erlebt hat. Sie mußte die ganze Zeit über sein Gesicht sehen.
    Zu Hause trage ich Stanislaus ins Bett, auch Else legt sich gleich hin. Ich kann nicht, ich schlage die Zeitung auf. Ein Bericht über einen Mord. In der Nähe unserer Wohnung hat jemand seinen Nachbarn erschossen. Das Opfer war ein hochaggressiver Psychotiker, der, wenn er nicht gerade im Irrenhaus saß, seine Nachbarn Tag und Nacht terrorisierte. Der Täter, ein Unteroffizier des Heers, stellt den Mann um Mitternacht wegen zu lauter Musik zur Rede, zu seiner eigenen Sicherheit hat er die Dienstwaffe dabei. Der Randalierer geht auf ihn los, der Unteroffizier schießt, eine Kugel trifft die rechte Achselhöhle. Der Mann stirbt.
    Merkwürdige Geschichte. Ich lese den Artikel noch mal. Einiges daran finde ich sonderbar. Ich betrachte das Foto des Toten. Ein Kahlkopf mit wirklich irrem Ausdruck, das hat die Fotoredaktion gut ausgesucht.
    Den kenne ich.
    Kein Zweifel. Es ist der Mann, der mir vor fast einem Jahr gegenübergestanden hat, der auf der Wienzeile viehisch herumbrüllte und Autos aufhielt, der kahle Riese mit dem psychotischen Schub.

Einundzwanzig
    Ich habe geträumt, ich sei Bundespräsident geworden. Ein achtköpfiges Gremium hat mich gewählt. Eigentlich wollten mehrere Mitglieder im ersten Wahlgang nur ein Zeichen des Protests setzen, indem sie mir eine Stimme geben, doch die Dummköpfe hatten sich nicht untereinander abgesprochen. So daß ich plötzlich fünf der acht Stimmen hatte und Bundespräsident war. Danach wollten sie mich zu einem freiwilligen Rückzug bewegen, aber ich blieb hart, als ich erfuhr, ich würde 20.000 Euro im Monat bekommen.
    Ich habe keine Ahnung, woher dieser Unsinn in meinem Hirn stammt. Vielleicht sind es die Kritiken. Diese Woche erscheint Die Arbeit der Nacht , und in Österreich gibt es allerhand gute Besprechungen. Auf den Fotos sehe ich schockierend übergewichtig aus. Na, egal. Daniel wurde vom Spiegel gefragt, ob er über mich schreibt, er hat es gemacht, und nun bin ich gespannt, was passiert.
    Zu Mittag habe ich das fünfte Interview. Ich finde es interessant zu beobachten, daß auch dieser fünfte Journalist die Wikipedia-Seite über mich vor sich liegen hat. Ich finde es schon deswegen interessant, weil ich die selbst geschrieben habe. Also zumindest die erste Fassung. Ist schon eine Weile her, zwei Jahre bestimmt, ich hatte keine Lust, darauf zu warten, bis irgendein Lump Bösartigkeiten über mich verbreitet. Ein wirklich sachlicher Artikel übrigens, ich

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