Das bisschen Kuchen: (K)ein Diät-Roman (German Edition)
Frauen, mit denen sie sich von Zeit zu Zeit zu Kuchen und Prosecco traf. Hatte eine von ihnen jemals gesagt, dass sie Niki mochte? Sie konnte sich nicht erinnern. Schon wieder war sie den Tränen nahe.
»Lass einfach laufen«, sagte Walburga ungewohnt leise. »Wir heulen hier alle wie die verdammten Welpen. Die Kur nimmt einen total mit. Is’ normal.«
»Wirklich?«
Niki schaute zu Walburga hinüber. Auch sie sah heute Morgen nicht gerade taufrisch aus. Das pechschwarze Haar hing ihr strähnig in die Stirn, ihre Augenlider waren rot geschwollen, ihre fleckige Haut zeigte deutliche Spuren eines anstrengenden Lebens. Letztlich wusste Niki nichts über Walburga. Nur, dass sich hinter dem ganzen prolligen Gerempel offenbar eine genauso verletzliche Frau verbarg, wie sie selbst eine war.
Walburga zog einen Schmollmund und hielt Niki die Hand hin. »Frieden?«
Niki zögerte, dann schlug sie ein. »Okay, Frieden. Aber werd jetzt bloß nicht zahm. Ich mag deine bescheuerten Sprüche.«
»Ach nee. Echt jetzt?« Walburga wirkte ehrlich erfreut.
Niki sah zur Uhr und sprang auf. »Herrje, der Yogakurs! Kommt ihr mit?«
»So sicher wie die Tatsache, dass Mario dich rauf und runter gerattert hat«, grinste Walburga.
Zu dritt steuerten sie den Yogaraum an. Er glich einer Turnhalle, nur dass der Boden aus rötlichem Parkett bestand und die Wände mit einem zarten Blumenmuster bemalt waren. Die Holzjalousien der bodentiefen Fenster waren halb heruntergelassen, so dass das Sonnenlicht Streifen auf das Parkett warf. Sphärische Streicherklänge durchzogen den Raum, aufgelockert durch das Stöhnen und Ächzen von etwa fünfzig Menschen.
Der Kurs hatte schon angefangen. Eine ältere grauhaarige Dame, gertenschlank und drahtig, stand im weißen Gymnastikanzug vorn auf einem Podest. Sie hatte ein Bein so weit hochgezogen, dass der Fuß das gegenüberliegende Knie berührte. Ihre Handflächen hatte sie wie zum Gebet vor der Brust zusammenlegt. Als wollte sie den Gott des Yoga anflehen, er möge sie endlich von diesen vielen dicken Menschen befreien.
»Das nächste Mal bitte pünktlich«, tadelte sie die Neuankömmlinge. »Wir sind bereits beim Sonnengruß, in derVersion für Anfänger: Gerade stehen, Hände vor der Brust zusammenlegen. Einatmen, Arme heben, ausatmen, Oberkörper nach vorn beugen und die Hände neben den Füßen ablegen. Yoga führt Sie auf den Weg der Entspannung, der Energie und der Zügelung von Begierden. Also los.«
Niki versuchte es. Doch beim Versuch, die Hände neben die Füße zu legen, scheiterte sie kläglich. Sie wankte und kippte fast um. Nee, das war nichts für sie. Resigniert setzte sie sich auf den Boden.
»He, Sie da hinten im rotweiß gestreiften Kleid! Könnten Sie vielleicht mal Ihren Tiefschlaf beenden?«
Die Worte trafen Niki wie Peitschenhiebe. »Meinen Sie etwa mich?«
Dabei war sie die Einzige, die keinen Sportdress trug. Und die Einzige, die sich als Streifenhörnchen verkleidet hatte.
»Ja, Sie. Yoga bedeutet nicht, wie ein Trauerkloß herumzuhängen. Ein bisschen mehr Engagement bitte!«
Das war eine öffentliche Demütigung. Sofort fühlte sich Niki an das Spießrutenlaufen des Sportunterrichts erinnert, in dem sie als Schülerin kläglich versagt hatte. »Du hängst am Reck wie ein nasser Sack«, war noch einer der freundlicheren Kommentare gewesen, mit denen der Sportlehrer sie damals bedacht hatte. Und beim Völkerball war sie wegen ihrer Leibesfülle ein leichtes Ziel gewesen – selten war sie ohne blaue Flecke davongekommen.
Also hatte sie wieder mal die Rolle des Versagers. Die alte Niki wäre jetzt heulend auf ihr Zimmer gelaufen und hättedas Bett mit bitteren Tränen überschwemmt. Doch die neue Niki ließ sich nicht so leicht aus der Spur werfen.
»’tschuldigung! Bin Bewegungslegastheniker!«, rief sie fröhlich.
Walburga neben ihr hob feixend den Daumen. »Recht so, gib ihr die Kante!«
Aufmerksam beobachtete Niki die anderen Gäste, die sich fast vollzählig im Yogaraum versammelt hatten. Sie kamen aus aller Herren Länder. Neben ihr schwitzte ein dunkelhäutiges Ehepaar mit Rastazöpfchen, daneben eine durchscheinende britische Dame, die unablässig »Oh my God« vor sich hin flüsterte. Etwas weiter entfernt entdeckte Niki zwei indische Herren, die Turbane zu ihrem Gymnastikoutfit trugen. Sogar eine japanische Familie turnte herum, mit einem ballonartigen Kind von etwa zehn Jahren.
Auch Leo war da. Er hatte es geschafft, seinen Oberkörper in die
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