Das bisschen Kuchen: (K)ein Diät-Roman (German Edition)
Möhrchenscheiben, als sei es ein Festtagsbraten.
»Bitte sehr«, zirpte sie. »Lassen Sie es sich schmecken. Und vergessen Sie nicht den korrekten Kauvorgang.«
Widerwillig mampfte Niki den zerkochten Krempel in sich hinein. Was blieb ihr auch anderes übrig? Die Hungerattacken waren arg. Sie hatte neuerdings Kopfschmerzen und Schwindelanfälle, die üblichen Nebenwirkungen der Kur, wie man ihr versicherte. Aber um nichts in der Welt wäre sie abgereist. Die Anzeige der Waage in ihrem Badezimmerhatte sie heute Morgen mit einer spontanen Tanzeinlage unter der Dusche gefeiert.
Außerdem stellte sie allmählich fest, dass dieser ganze Wahnsinn ihr gefiel. Die Massagen, die Sprudelbäder – na ja, das Laufband nicht so. Aber dafür Walburga, Tamara und Alexis. Mario sowieso. Irgendwie auch Leo. Was für eine schräge Truppe. Und sie mittendrin.
»Darf man die beiden Turteltäubchen stören?«, röhrte Walburga, die an den Tisch getreten war.
Niki kaute gerade zum zwanzigsten Mal ihre Möhrchen. Leo vergrub sich etwas tiefer hinter seiner Zeitung.
»Du störst nicht«, antwortete Niki. »Wir waren zwar gerade in ein angeregtes Gespräch vertieft, aber zu dritt plaudert es sich doch gleich viel netter.«
Sie stand auf und rückte für Walburga einen Stuhl vom Nebentisch heran. »Der Typ ist zum Glück so gut wie scheintot«, raunte sie. »Vielleicht hat er ein Schweigegelübde abgelegt.«
»Oder hat sich heimlich den Mund mit Marshmellows vollgestopft«, witzelte Walburga.
Leo ließ die Zeitung sinken. »Gibt es noch eine dritte Option?«
»Na, sicher.« Walburga öffnete den Reißverschluss ihres giftgrünen Jogginganzugs, so dass man ihren gewaltigen Busen mehr als ahnte. »Du bereitest dich mental auf deinen nächsten Marathonlauf vor.«
Niki versuchte, nicht zu lachen. Armer Leo. Auch unter dicken Menschen existierte eine Hackordnung. Und es gabeben immer einen, der noch dicker war als die anderen. Leo und Sport, das passte so gut zusammen wie Forelle und Schokoladensauce, das war jedem klar.
Doch Leo war nicht beleidigt. Er lächelte verschmitzt. »Wer zweiundvierzig Kilometer rennt, ohne dass er verfolgt wird, hat ein Problem.«
»Oder ein Ziel vor Augen«, erwiderte Walburga. »Einen Kasten Bier zum Beispiel.«
»Tagliatelle an Trüffelsahne«, ergänzte Niki. »Und ein ganzes Spanferkel mit Kartoffelgratin.«
»Oder zwanzig Doppelhamburger mit einem Eimer Pommes!«, fügte Walburga hinzu.
»Eine große Badewanne, voller heißer Schokolade und schöner Frauen«, sagte Leo genießerisch.
Holla, der Mann hatte ja Fantasie! Und zwar eine ziemlich erotische Fantasie! Hatte Niki sich in Leo getäuscht? Auf jeden Fall war er nicht die depressive Dumpfbacke, für den sie ihn anfangs gehalten hatte.
»Apropos: Du denkst ja hoffentlich an unsere Verabredung morgen Abend«, mahnte Walburga.
Niki lächelte schief. »Ach ja, der Mädelsabend.«
»Was verpasse ich da?«, fragte Leo.
»Weißbier on the rocks und unzüchtige Filme«, gluckste Walburga.
»Ach.« Interessiert sah Leo Niki an. »Sie scheinen ausgefallene Hobbys zu haben, Frau Michels.«
Musste Walburga denn jeden Unsinn rausposaunen? Niki wusste nicht ein noch aus vor Peinlichkeit.
»Sie ist auf die dunkle Seite gewechselt«, verkündete Walburga. »Aber wie ich unsere Niki kenne, muss sie vorher zehn Schnäpse trinken und drei Zäpfchen einführen, damit sie’s überlebt. Schreckhaft, wie sie nun mal ist.«
Niki trat Walburga unter dem Tisch vors Schienbein. Übertreib’s nicht!
Leos Blick wurde intensiver. »Verzeihung, da bin ich aber ganz anderer Meinung. Frau Michels strahlt ein ganz besonderes Selbstbewusstsein aus. Eine, eine …« Er suchte nach Worten. »… sinnliche Präsenz. Ich schätze mich glücklich, dass man sie an diesem Tisch platziert hat.«
Walburgas Augen wurden groß und rund wie Untertassen. Niki schluckte. Selbstbewusst und äh – wie war das? Sinnlich? Hallo?
»Dürfte ich die Damen nach dem Essen zu einem Spaziergang entführen?«, fragte Leo.
Allmählich fing sich Walburga wieder. »Nee, ohne meinen Mittagsschlaf schleiche ich wie ein Zombie durch die Pampa.«
Sie stand auf und stieß fast mit Doktor Mannheimer zusammen, der im Laufschritt durch den Speisesaal eilte.
»Hallo Doc, heute schon jemanden umgenietet?«, fragte sie herausfordernd.
Doktor Mannheimer blieb stehen. Seine Augen funkelten, sein magerer Körper bebte vor Wut, während Walburga ihn zufrieden angrinste. Offensichtlich genoss sie es,
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