Das blaue Buch - Roman
wird hier stattfinden.
Dann neigt er einen Moment den Kopf und erzeugt ein angemessenes Lächeln. Als er sie wieder anschaut, kann sie überdeutlich daran ablesen, dass er sich irgendwo tief aus ihr zurückgezogen hat, dass das schmerzhaft und beunruhigend ist, dass er davon weniger und sie mehr wird, dass es ihn vereinzeln, er in bleiche Isolation zurückfalten wird.
Er erlaubt sich schließlich, seiner Müdigkeit nachzugeben.
Denn ich bin scheißmüde.
Er streckt den Arm aus und hält die rechte Hand über die Kerzenflamme – sein letztes Geschenk.
Scheiß auf den Schmerz – da ist kein Schmerz – ich muss gar nicht so tun, ich kann ihn wegdenken – und das wird ihr gefallen, sie wird es begreifen , sich erinnern.
Dann drückt er die Flamme mit der verbrannten Handfläche aus, zeichnet sich mit Asche und heißem Wachs, schiebt seinen Stuhl zurück, erhebt sich, steht auf. Er beugt sich vor, um sie auf die Wange zu küssen, während sie versucht, ihre Gedanken an ihn zu ordnen, ihren Dank und die einstudierten Abschiedsworte, doch er hat sich schon wieder aufgerichtet und geht hinaus, nichts mehr zu sagen, nicht mehr gestattet – ein letzter Blick, der Zutrauen, Zuneigung, seine Dankbarkeit ausdrückt – er macht sich so froh, wie er nur kann – und dann ist er draußen, ist vorbei, frei.
Später wird er jemanden schicken, seine Sachen einzusammeln – inzwischen will sie die vielleicht inspizieren oder vielleicht auch nur liegen lassen. Er würde gern glauben, dass er sie interessiert, dass sie ihn vielleicht ein wenig gern hat, den Menschen, der er zu sein schien. Sein persönlicher Besitz ist vollkommen neutral, gibt keine Hinweise, nur eine unbestimmte Intimität: Aftershave, Wäsche, ein kaum benutztes Bett.
Aber so ist sie nicht. Sie wird nichts überprüfen.
Am Mittwochmorgen wird er im Foyer sitzen, außer Sicht und in Deckung, wenn sie abreist.
Nur zur Beobachtung, um sicherzugehen, dass der Job abgeschlossen ist, das Finale.
Er erwartet, dass sie die neue Reisetasche trägt, die er ihr gekauft hat – wichtig, eine neue Tasche für neue Reisen zu haben, das ist kein bisschen herablassend und auch kein Geschenk – und sie wird immer noch diesen grässlichen Mantel anhaben, aber darunter, flammend, singend, will er Hibiskusrot sehen: ein Kleid aus der Heimat, stolz und unpraktisch.
Das wäre ein Ergebnis.
Überdurchschnittliche Wahrscheinlichkeit, dass sie es tut.
Das würde mich zum Weinen bringen.
Frauen – sie bringen mich zum Weinen.
Der Mann wird aufstehen und sich vor dem Ende seiner Arbeit verstecken, wieder ein erledigter Job, und er wird wieder einen fremden Menschen davongehen sehen, und er wird sich fragen, wie er hierher gekommen ist. Er wird sich fragen, wie er so weit von der Liebe weg gekommen ist.
ES IST GANZ leicht.
Du nimmst den Daumen und drückst ihn, schmiegst ihn ins Herz deiner anderen Hand. Wo er ganz natürlich hinpasst, das ist der Sweet Spot, der Punkt, wo jede Berührung Zärtlichkeit auslöst.
Überleg dir, wen du liebst, denke an sie, erlaube dir, bei ihnen zu verweilen, und ein stiller Schmerz wird dort entstehen – die Sehnsucht, die du anstelle ihrer Haut, dieser anderen Haut berührst. Ballst du die Fäuste, dann verteidigst du diese Stelle – beide Hände um ein Fehlen, um einen Gedanken, um einen winzigen Verstand gekrümmt, den du verloren hast und in dem deine Liebe wohnt.
Und dein Sweet Spot hat einen leichten Schlaf, fast unmöglich, ihn nicht zu wecken, auch wenn du nicht willst – oder gerade, weil du es willst – ihn nicht auslösen, so dass er befriedigt, berührt werden will – die kleine, sprechende Mulde, die gefüllt werden möchte.
Am besten trainierst du sie, wenn du kannst, fang früh damit an und besänftige sie zumindest, biete ihr andere Interessen zur Unterhaltung. Als Kind, als eigenartig vernünftiges Kind, könntest du damit anfangen, eine Münze dort zu plazieren, oder einen Kiesel, eine Medaille, einen Talisman, Glücksbringer, Abzeichen, Schmuckstück, gefaltetes Papier, Eintrittskarte, Ohrring, Muschel, Murmel, Ring – such dir eins der kleinen wertvollen oder wertlosen Dinge aus, die in einem Zimmer, einer Jackentasche, einem üblichen Leben herumliegen.
Und dann kannst du der Höhlung deiner Handfläche beibringen, sie zu halten, zu verbergen, verschwinden zu lassen. So kann die Abwesenheit, die du spürst, eine andere herbeizaubern, sich ihren Unterhalt verdienen.
Wenn du wolltest.
Manche Kinder mögen
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