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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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begleitet hat und nicht mit einem Namen hereingeplatzt ist.
    An dieser Stelle falsch zu liegen, das wäre unverzeihlich gewesen.
    Michel war es, dessen Wiederkehr sie sich vorstellte, dessen Wunden sich schlossen und entflohen, dessen Haar nach Paradies roch, als er sie berührte, und nach ihm selbst, nach der Gesamtheit seines ersten Schreis, ersten Blicks, ersten Schritts, ersten Schmerzes, ersten Streits, seines bekannten und geheimen Lebens, nach dem Wissen seiner Mutter um sein Leben.
    Zwischen ihnen – sie ist zwischen ihnen beiden – ich sehe es ihr an, dem Schwanken ihres Kopfes, dem Drang, sich an die Luft zu lehnen, ihren Kopf auf Phantasien zu betten und sich von ihnen lieben zu lassen.
    Glücklich für dich, Agathe.
    Sie vertraut darauf, voll und ganz, dass ihr Mann und ihr Junge zu beiden Seiten neben ihr sind, und sie atmet beide ein – gierig.
    Die rote Kerze brennt herunter.
    Ich habe es erklärt.
    Das mache ich sehr deutlich.
    Wenn die letzte Kerze verlischt, ist die Sache vorbei. Für immer. Die Toten kommen nicht mehr nach Hause, nicht zu mir und auch zu sonst niemandem – damit keiner der anderen Scheißer sie übernimmt, ihr Geld abnimmt, sie abhängig macht vom wöchentlichen Schuss gefälschter Zuneigung und alberner Tricks.
    Sie hat mich gehabt.
    Den Besten.
    Und ich habe ihr alles gegeben, was sie brauchte.
    Bei mir ist sie in sicheren Händen. Zwei sichere Hände.
    Ich habe ihr dies geschenkt . Ohne Bezahlung – das bedeutet Schenken .
    Und niemand außer uns muss davon wissen. Niemand außer mir.
    Ich habe heute ein Leben gerettet.
    Habe ich gut gemacht.
    Und niemand muss davon wissen.
    Die sicheren Hände des Mannes zittern so, dass er sie flach auf die Tischplatte drücken muss.
    Sie kann so lange sitzen bleiben, wie sie will.
    Wir lassen alles sacken und sich beruhigen.
    Als Agathe schließlich die Augen öffnet, schaut sie den Mann an, als hätte sie geschlafen und sei geweckt worden, und er umfasst ihre Hand sanft mit seinen beiden und wartet, bis sie ihn und diese Zeit und diesen Ort erkennt.
    Tut mir leid. Du musst hier sein, und sie müssen fort.
    So muss es sein.
    Und das wird Löcher an Stellen reißen, die ich gar nicht kenne, aber dies ist das Ende und unvermeidlich.
    Und mehr werde ich nicht tun – ich werde dich nicht dazu bringen, mich zu brauchen. Das werde ich nicht tun.
    Da bist du, und nur du, und ich bin nur ich, aber zusammen haben wir geschaffen, was du wolltest. Bitte, nimm die Liebe darin an. Sei zufrieden.
    Sie ist erhitzt, frühmorgendlich verblüfft – einen Augenblick spürt er ihren Appetit, diese hungrige Verwirrung – also lässt er sie los. Er etabliert allmählich wieder eine nützliche Distanz.
    Verflixte Kerze hat noch ein ganzes Stück zu brennen, aber die können wir löschen.
    Oder sie kann es selbst tun, das wäre vielleicht besser. Vielleicht … weiß nicht …
    Können jedenfalls nicht hier herumhängen und auf morbide Gedanken warten, so viel ist sicher.
    An dieser Stelle sind Ratschläge vonnöten, und Vorschläge, gangbare Wege in die Zukunft.
    Irgendwelche Ratschläge von mir …
    Lachhaft.
    Aber niemand lacht.
    Warum sollten wir auch.
    Und dann gehen wir wieder in unsere Einsamkeit. Aber nicht nötig, sie zu erwähnen. Offensichtlich. Jeder zu seiner eigenen.
    Aber sie hat ihren Trost, verdammt noch mal.
    Von mir.
    Das bisschen, was möglich war – von mir.
    Jetzt alles knapp halten, und bestimmt. Sichergehen, dass es ihr gut geht, stabil, keine Verletzlichkeiten mehr, die nicht wenigstens irgendwie bedeckt sind.
    Wo wir davon reden – wird sie das Kleid ausziehen wollen? Oder behalten?
    Sie wird es behalten.
    Ich wette, sie wird darin aus dem Zimmer gehen wollen.
    Und Ausziehen sollte an diesem Punkt unbedingt vermieden werden, meine ich.
    Dieses Spiel, das er gespielt hat: Sie hat die Regeln nie verstanden, er könnte mit allem enden, könnte alles von ihr verlangen und würde es wahrscheinlich bekommen, es stehlen, es aus ihr heraustricksen.
    Werde ich aber nicht. Für Agathe muss es gut enden. Etwas Besonderes für die tapfere Agathe.
    Also starrt er auf die Wand hinter ihr und erwähnt, dass ihr die Suite noch drei weitere Tage zur Verfügung steht – das ist nicht wahr, kann aber leicht geregelt werden – und darüber gibt es auch keine Diskussion, kann es nicht geben: Wie er es sagt, macht ihr klar, dass es notwendig ist, dass es sie vor den Härten ihrer neuen Welt beschützt, bis sie soweit ist. Der Rest ihres Übergangs

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