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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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direkt in ihn hineinlaufen, wie Regen – seine Hände auf meinen Schultern und sein Druck von hinten – oder die Form seiner Finger – selbstbewusste, gesprächige Finger: passend. Ich wollte spazieren gehen und hatte Angst, ich könnte hinfallen, weil ich ihn fühlte, um ihn wusste. Und dann habe ich gelächelt, weil niemand es sehen konnte, und ich habe gedacht – Das bin ich, ganz und gar in ihn gehüllt, und niemand weiß es.
    Er bleibt hängen, will sich eingraben.
    Wie Rauch.
    Wie Wasser.
    Wie sein Geruch.
    Obwohl er sehr darauf achtet, unparfümiert und neutral zu bleiben. Aber er ist trotzdem da, man hat ihn an sich, wenn er weg ist – ganz zart.
    Er findet deine Knochen und sickert ein.
    Dreckskerl.
    Sie hat keine Hoffnung auf Schlaf, rechnet schlicht damit, hier zu liegen und immer wieder zu rezitieren: Den zu lieben, den man nicht lieben kann, ist dumm, ist Selbstverletzung – das Vernünftige zu lieben, das brauche ich, und das kann ich haben. Das habe ich schon. Das kann ich vorziehen, weil ich keine Idiotin bin.
    Was sie deprimiert, weil sie es nicht glauben wird.
    Ich bin keine Idiotin.
    Außer wenn ich eine bin.
    Dreckskerl.
    Der Schlaf kommt aber doch, unerwartet – eine seltsam schnelle Gnade, in die sie gleitet, in der sie versinkt. Doch dann wird er natürlich wieder flach und unnachgiebig. Die Kraft des Unwohlseins drängt sie auf den Rücken, und das Bett ärgert und stört unter ihr, und Arthur –
    Dreckskerl.
    Heimlicher Schleicher – immer stört er.
    Arthur steht in ihren Gedanken. Er nestelt herum, hat seinen Mantel an und weint gelegentlich, was sie lieber nicht sehen möchte. Und mit salzigen Fingern, mit kalten und stumpfen Fingern, mit den Fingern eines Toten greift er in die Luft und zieht Zahlen heraus – geschickt lässt er sie von einer leeren Hand zur andern wandern – und dann legt er ihr jede Ziffer in den Mund.
    Sie hat sie nicht vergessen – konnte sie nicht – die Listen der Bedeutungen, die Übersetzungen für jede Zahl.
    Eins.
    Bitte zuhören.
    Eins ist praktisch. Kann in jeden Satz hineinschlüpfen, egal, was für einen , und kann dich bitten.
    Hör bitte zu.
    Eins markiert den Beginn einer Geschichte, und Arthur ist ein Mann, der die ganze Geschichte will, die ganze Zeit. Er würde kein Wort verpassen wollen.
    Noch glücklicher allerdings ist er, wenn es Sieh mich an bedeuten kann – wenn wir mit der zweiten Liste arbeiten, mit der persönlichen Liste: Dem Code für eigenartige Menschen an öffentlichen Orten.
    Er liebt es, wenn du hinschaust – ist erst schüchtern und dann nicht mehr, absolut nicht, zu deiner Betrachtung hingebreitet, lodernd.
    Bevorzugt dunkle Bettwäsche: lila, blau – er bringt sie mit in jedes Hotel, bittet die Angestellten, die Betten neu damit zu beziehen – uns etwas anderes zu geben als das Standardweiß. Er zahlt – zahlt zu viel – zahlt für besondere Aufmerksamkeiten – also darf er auch wählen.
    Einmal hat er schwarz mitgebracht: schwarze Bettwäsche, schwarze Handtücher, schwarze Vorhänge, alles schwarz.
    Wie in die Nacht vertrieben.
    Und Arthur liegt auf der Nacht, zeigt sein eigenes Licht, sein milchiges Licht.
    Sieh mich an.
    Für besondere Gelegenheiten.
    Ansonsten eher zugeknöpft. Krempelt nicht mal seine Ärmel hoch. Sonst gibt es nur schlaue Sprüche und Zahlen und Spielchen.
    Sieh mich an, während ich mich verstecke, finde mich, komm und such, und dann weiß ich, dass du mich liebst, dass es wahr ist.
    Er kennt zu viele Spiele.
    Und er ist zu anstrengend.
    Und er sollte sich auch immer verstecken und sich schämen. Und wieso sollte ich ihn überhaupt finden? Er hat nichts mit mir zu tun. Er ist Feiertagssex, gespieltes Anbaggern in Hotellobbys, eine Doppelsuite mit Obstschale und zwei Fernsehern, wo wir doch bloß ein Bett brauchen, weil da nichts ist als Sex – mehr als Sex gibt es bei uns nicht, nicht mehr.
    Jede Nacht ein One-Night-Stand.
    Sieh mich an.
    Doch dann schluckt sie Fünf , die pfeffrig schmeckt und dünne Ränder hat und Hilfe heißt, die sie auch braucht, aber nicht kriegt. Oder es heißt Komm , was sie auch braucht, aber nicht kriegen sollte, weil Menschen es zum Betrügen nutzen können, oder um Idioten Sachen aus der Tasche zu ziehen.
    Es gab Zeiten, da konnten sie beide zusammen sein – Beth und Arthur in Gesellschaft – da konnten sie einander um genau dies bitten und darauf antworten. Komm . Sie konnten beide nachfragen und liefern. Sie konnten nach dem Anflug eines Lächelns

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