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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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das.
    Manche Leute mögen das.
    Und Mögen führt zum Tun, führt zum Üben – und ist eine Art, zwangsweise und nützlich selbstgenügsam zu werden. Abende und Wochenende und Feriennachmittag hindurch bis in die Nächte hinein ballst und krümmst und glättest du deinen Griff, du misst den Takt und Gegentakt jeder Bewegung. Dein Handrücken wird unschuldig, absolut rechtschaffen, die Seiten werden untadelig, du wirst sogar fähig sein, das weiche, saubere Handinnere zu zeigen, während ein Wunder hinter deinen Knöcheln verschlossen bleibt – dann verschiebst du deinen Schatz zum Zwischenraum an deinem Fingeransatz, oder in die Falte an der Daumenwurzel, oder zu den Fingerspitzen, oder in die Höhle deiner Handfläche, deiner sanften, gebildeten Handfläche. Nach und nach verwandelst du dich in das Verbergen vor jeder Beobachtung, jeder Blickwinkel wird vorhergesehen, denn so stellst du Unsichtbarkeit her. Du wirst dich selbst im Spiegel studieren, als wärst du ein gefährlicher Fremder, bis du endlich siehst, dass du es geschafft hast, du hast dich verändert, bist vollkommen heimlich geworden, eine Täuschung. Deine Haut weiß, ohne wissend zu scheinen, deine Muskeln und Sehnen arbeiten, anscheinend ohne zu arbeiten, deine Finger strecken sich und lassen fallen und fangen und legen ab und lassen es nicht sehen.
    Du bist magisch.
    Du bist definitiv sicher, dass es so was nicht gibt, aber du kannst es trotzdem sein.
    Du kannst dich für ein Wunder halten, für genug und für jenseits aller Hilfe.
    Wenn du möchtest.
    Wenn du das wollen würdest.
    Und der Junge wollte das.
    Der Junge.
    Unser Junge.
    Der Junge war ein Frühstarter, in vielerlei Hinsicht frühreif, am meisten mit den Händen, in den Händen. Wenn er älter wird, kann er sich nicht mehr ganz genau erinnern, aber er ist vielleicht sieben, fast acht, als er die ersten Versuche macht, sie zu trainieren. Sein Vater kann Karten im Stapel nach oben wandern lassen oder die Herzkönigin mit zwei ihrer Cousinen in jede beliebige Reihenfolge bringen, wenn er sie auf dem Küchentisch ablegt – als erste, dritte, erste, zweite, zweite … wo immer er sie hinhaben will. Sein Vater erklärt, wenn das jemand anders tut, ist es schlecht, denn man kann damit beim Wetten betrügen und Idioten Geld aus der Tasche ziehen. Das ist grausam, denn Idioten brauchen ihr Geld mehr als alle anderen. Und sein Vater hat außerdem eine besondere Spielkarte mit Löchern darin, die man an den Seiten verschieben kann – bewegliche Löcher, die ganz durchgehen und die der Junge nicht ansehen kann, nur aus der Ferne, und die er nicht berühren darf.
    Das bringt den Jungen zu dem Schluss, dass die Karten selbst gelöchert sind und das keine besondere Geschicklichkeit seines Vaters ist. Das findet der Junge heraus.
    Sein Vater kann also drei Tricks.
    Und nur mit Karten.
    Der Junge hat schon entschieden, dass Menschen, die Karten trauen oder dem, was Karten machen, Idioten sind und mit ihrem Geld in Ruhe gelassen werden sollten. Er wartet darauf, erwachsen zu werden und andere Erwachsene zu narren, die Sachen sehen und herausfinden können. Der Junge selbst wäre nur beeindruckt, wenn mit seinem besonderen Stück Bernstein etwas passieren würde, oder mit einem seiner Spielzeugsoldaten oder seinen kleinen Dinosauriern – mit verlässlichen, vertrauten Gegenständen. Darum nimmt er sich vor, die Welt mit strikt Anständigem zu überraschen: sauber, klar und rein.
    Er hat gespart und sich ein Buch gekauft, in einem herrlichen, gedrängt vollen, schlecht beleumundeten Laden. Es ist eine Anleitung und enthält Instruktionen sowie amtlich wirkende, kräftige Zeichnungen von Händen und Gesten und Männern mit kurzen Haaren und clever verbergenden Hosenaufschlägen – sehr ernste und klassische Männer: wie die Schwarzweißdetektive in alten Krimis. Aber immer bereit, mit Taschentüchern oder Whiskygläsern oder amerikanischen Münzen zu erstaunen. Es sind, nimmt er an, amerikanische Männer, sie sind nicht absichtlich kompliziert, indem sie fremde Währung verschwinden und auftauchen lassen. Er versucht zu raten, welche britischen Münzen den von ihnen benutzten entsprechen würden, starrt die Diagramme an, stellt sich seine Finger in ihrer Haltung vor. Er stellt sich hin und wiederholt die Handbewegungen über seinem Bett, damit es niemand hört, wenn er scheitert und etwas fallen lässt. Irgendwann braucht er das Bett nicht mehr.
    Wieder spart der Junge, diesmal auf den Spiegel, den er

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