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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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vorsichtig und mühevoll von der Einkaufsstraße in sein Zimmer trägt. Seine Mutter muss darüber lachen und redet von Freundinnen, sein Vater jedoch runzelt die Stirn, und der Junge fühlt sich angegriffen und bedrängt.
    Als sie am nächsten Sonntag zum Zeitungskiosk gehen, beschreibt ihm sein Vater Mädchen und ihre Angewohnheiten. Dafür muss er dreimal den Spielplatz mit den rostigen Schaukeln umrunden – bis hinunter zu den unteren Bäumen und wieder herauf, dreimal – denn es ist eine lange und detailreiche Beschreibung. Der Junge hat Mädchen zwar schon in der Schule gesehen und nicht viele Gedanken an sie verschwendet, doch sein Vater malt sie als gefährliche Fremde und Anlass zur Sorge. Sie werden zu Frauen wie Dusty Springfield heranwachsen, die der Junge sehr gern mag und für wahrscheinlich sehr nett hält, auch wenn sie Weltraumkleider und erschreckende Frisuren trägt. Tatsächlich steht er vielleicht gerade deswegen ziemlich auf sie. Sein Vater sagt, die Mädchen werden nichts mit Dusty gemein haben, sie werden nicht fabelhaft aussehen. Oder wenn doch, dann ist das gar nicht gut .
    Als sie im Laden angekommen sind, fragt der Vater den Jungen, ob er vielleicht sein wöchentliches Süßigkeiten- und Comicgeld ausgeben wolle, und der Junge antwortet, heute lieber nicht, schon in Ordnung, und Nein und Danke – denn er hat Pläne, eine Daumenspitze und andere unanständig, offensichtlich irreführende und täuschende Dinge aus dem wundervollen Laden zu kaufen, der nach Zigaretten und Männern und Schlechtigkeit riecht und der J. Cooper & Sons Magic heißt, obwohl es weder einen J. Cooper noch irgendwelche Söhne gibt. Sein Vater kauft ihm trotzdem einen Crunchie-Riegel, was nicht normal ist, weshalb der Junge ihn auf dem Rückweg verschlingt, ehe es jemand bemerken und missbilligen kann.
    Direkt vor der kühlen Eingangspassage – wo sie auf Mrs Barkers Blumenkübel schauen, in denen die Eichhörnchen immer graben, weil sie Miststücke sind – da nimmt der Vater den Jungen in den Arm, legt ihm die Hand über ein Ohr und reibt es ein wenig, als könnte er es verschwinden lassen, und dann schaut sein Vater ihn an und flüstert: »Arthur, sei vorsichtig.« Dann küsst er den Jungen auf den Scheitel und fragt ihn, fast unhörbar leise: »Wirst du das?« Und Arthur – der Junge heißt Arthur, ein altmodischer Name, der ihm in der Schule Ärger einhandelt – Arthur nickt, obwohl er das Gefühl hat, er wird es nicht schaffen. Seine Magie wird für Mädchen nicht ausreichen.
    Arthur wohnt in einer Erdgeschosswohnung neben einem Kreisverkehr, in dessen Mitte Narzissen wachsen und auf dem im Sommer mal ein Kerl lag, der aus Spaß so tat, als würde er sonnenbaden. Die Wohnung ist in London – sozusagen – aber nicht so, dass Arthur es bemerken würde. Er ist eine Zug- und Busfahrt oder zwei Busfahrten und eine U-Bahn von bemerkenswerten oder postkartenreifen Orten entfernt. Es gibt keinen Big Ben und keine Raben und keinen Palast am Ende seiner Straße, und wenn er hinfährt, um diese Sachen anzuschauen, dann gehören sie nicht zu ihm und nerven ihn daher nur, anstatt ihn mit Stolz oder Freude zu erfüllen. Seine Mutter wohnt bei ihm. Sie ist unglücklich. Und sein Vater ist da – sein großer, blonder, drahtiger Vater, der auffällt, aber an den er sich irgendwann nur noch schwer wird erinnern können. Sein Vater ist ebenfalls unglücklich.
    Aber Arthur ist glücklich – darauf achtet er.
    Und Arthurs Hände sind beide ganz außer sich vor Freude. Sie sind überglücklich.
    Und Arthur liebt sie.

IN DER ERSTEN Nacht an Bord träumt Beth in Zahlen. Sie hat sich leise ins Bett gestohlen, sich auf ihre Seite gerollt, weg vom Körperkontakt, damit ihre Kälte Derek nicht aufweckt, ihre salzige Kälte.
    Denn das würde sie – würde ihn stören.
    Ich bin nämlich steifgefroren. Keine warme Stelle am Leib.
    Nicht so richtig.
    Und er braucht Ruhe.
    Und er braucht bestimmt nicht zu merken, dass mit mir irgendwas nicht stimmt, am ganzen Körper, und das wird er auch nicht, denn das werde nur ich merken. Mein Geheimnis.
    Und Arthurs.
    Nein. Nur meins. Ich lasse es zu, und es gehört mir.
    Früher habe ich es geteilt, jetzt nicht mehr.
    Früher bin ich … durch die Straßen gelaufen, und nichts war zu sehen, ganz respektabel – innerlich vielleicht Tumult und Chaos – bei jeder Erinnerung an ihn, irgendeiner – ich konnte nie wissen, welcher Teil Arthurs mich erwischen würde, oder wann – so als würde ich

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