Das blaue Buch - Roman
Mörder und Ermordete.
Heute Nacht werde ich gut schlafen – total erschöpft.
Ich werde gut oder gar nicht schlafen …
Agathe irgendwo erstarrt, als er Bettzeug erwähnt.
Bettzeug.
Das Wort trifft.
Herrlich.
Sie war also im Wäscheschrank. Der Geruch der Bettwäsche, frisch, intim, ihr eigen – keine Chance mehr auf Schlaf seither, nie wieder – kein Weg aus dem wachen Dunkel – jedenfalls nicht bisher – aber ich werde ihr einen Weg bahnen. Das werde ich.
Agathe versteckte sich im Wäscheschrank und lauschte dem Geräusch des Metalls und der Knochen ihres Mannes.
Guillaume schrie nicht, wollte sie nicht ängstigen, blieb unausgesprochen – er wirkt etwas eigenartig, sehr sanft, ein wenig distanziert – passt eher ins akademische Leben als zum Journalismus.
Egal, sie hätten ihn sowieso umgebracht.
Agathe hält im Schrank den Atem an – hat seither unablässig den Atem angehalten – die einzigen Geräusche, die sie Guillaumes Tod verstehen lassen.
Sie hatte mit angehört, wie der Körper ihres Mannes zerstört wurde – den sie geküsst, erkundet, geliebt, gevögelt hatte. Sie hatten Guillaume umgebracht.
An dieser Stelle verlor sie sehr verständlicherweise den Verstand.
Und danach – jetzt wieder die Täter sein – stellt der Mann sich vor und beschreibt, wie suchende, kichernde, betrunkene Männer, bekiffte Männer Dinge zerbrechen, die Bosheit in Agathes Haus.
Natürlich fanden die Männer sie – es wäre grausam, sich dabei aufzuhalten, das könnte sie zu weit drängen, sie wieder in die Isolation treiben, weg von sich selbst, also sei sanft – sei ohnehin sanft – Scheiße – sei natürlich sanft.
Agathe war keine Tutsi wie ihr Mann, und ihre Vergewaltiger wussten das. Weil sie eine Hutu war, hielten sie sich auf perverse Weise zurück, erlaubten sich alles, außer sie umzubringen. Oder vielleicht war es auch vorsätzliche Folter – sie am Leben zu lassen, allein, sie zum Sehen zu zwingen.
Der Versuch, diese Augen zu überwältigen. Sie zu verschließen.
Als Letztes hackten sie ihr die Hand ab.
Der Mann denkt daran, wie sie zu verbluten hofft.
Nicht erlaubt – keinen solchen Gedanken, jetzt nicht mehr – kein Sterben mehr, keine überstürzte Selbstzerstörung. Du darfst nicht zulassen, dass die Schweine sie in den Selbstmord treiben, sie mit ihrem eigenen Willen ermorden.
Der Mann lässt Guillaume erzählen, dass ihr Selbst heilig ist und nicht zu Schaden kommen darf, in Schönheit gehalten werden muss. Der Mann lässt eine gewisse Poesie in seiner Erzählung zu, weil die Eheleute Menschen des Wortes waren und Worte beeindruckend fanden.
Und der Mann spricht darüber, dass Agathe sicher war, Guillaume sei bei ihr und noch am Leben, als sie das Bewusstsein verlor – dass er da war – und dann das schreckliche Umlernen nach dem Aufwachen: metallischer Blutgeruch und Scheiße – sie lag in ihrem eigenen Blut und dem ihres Mannes – Glasscherben, Stiefelabdrücke – Dinge, die sie nicht ansehen kann, aber muss, erinnern muss, verschlingen muss, weil sie alles sind, was ihr bleibt. Sie waren ihr Ein und Alles.
Einzelheiten, die beweiskräftigen Details, damit kriegt man sie, und er hat sie gekriegt.
Das ist gut, denn der Mann muss sie glauben machen, dass sie sich nicht geirrt hat: dass Guillaume wirklich gewartet und zugeschaut hat. Der Mann beschreibt ihren Ehemann, erfindet ihn als in diesem Punkt eisern: dass er wirklich bei ihr war, sie nicht mehr berühren konnte, aber da war.
Etwas anderes, was sie verschlingen kann: ein besseres Ein und Alles.
Und das ist eine Art von Vollkommenheit – eine Zärtlichkeit, doch sie bleibt nicht dabei, denn ihre Chronologie führt zu ihrem Sohn. Zuerst wurde ihr Mann ermordet, dann ihr Sohn.
Guillaume leuchtet in ihr auf, er ist überzeugend, und sie will ihn – aber sie braucht ihren Sohn.
Der Mann schmeckt ihr Verlangen – im Kopf macht er ihn zu Schokolade – heißsüß – und sie hat nie richtig erfahren, was mit ihrem Sohn passiert ist. Michel, ihr einziger Sohn.
Unten in Butare waren es Bauarbeiter und Soldaten. Studenten wurden nicht mehr geduldet, Bildung nicht mehr gebraucht. Davon können wir nicht viel ertragen.
Der Mann sagt, er kann Michel spüren, wie er im offenen Gelände einen Weg entlangläuft. Er ist nicht richtig angezogen, hat vielleicht Kleider verloren oder ist schnell aus dem Bett aufgescheucht worden. Michel ist in einer Menschenmenge. Die Männer hinter der Menge sind still und geschäftig
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