Das blaue Buch - Roman
keinem wünschen – auch nicht sich selbst.
Nachdem er also seinen dunklen Entschluss gefasst, seine Kompromisse geschlossen hat, kann er sich seine Ziele suchen.
Und für die wird er ein lächelnder und aufmerksamer Parasit.
Er würde es lieber nicht tun.
Aber er muss wirklich.
Und vielleicht geht er zu der Frau, der Witwe – die Peri Arpagian heißt und ihren Mann vermisst, der Mels Arpagian hieß. Und vielleicht stabilisiert der Mann sie mit einer Art von Hilfe, die sie nie wieder freigibt. Und vielleicht weiß sie es nicht besser und ist froh und dankbar, während er sie manipuliert und täuscht, die Wärme seiner Zuneigung rationiert, um sie schwach zu halten, denn vielleicht braucht er ihre Sucht – nach ihm – und so lässt er es geschehen.
Das heißt, dass er ansonsten in vielerlei Hinsicht zartfühlend ist; er fliegt auf ihr Ersuchen nach New York – wo Peri lebt und er in der Regel nicht. Er steigt in ein Flugzeug, obwohl er die verabscheut – obwohl zu viele Séancen mit Absturzopfern ihn mit jammervollen, in die Länge gezogenen Toden getränkt haben, Fallen und einsames Schreien unter Fremden, das Taumeln der Habseligkeiten in heimtückischer Luft. Ein Zimmer nach dem anderen in seinem Inneren ist voll mit den verlassenen Lebenden, mit den schuldigen Lebenden, die sich noch an die krank machende Verwechslung von Flugnummern erinnern, und wie sie die Wirklichkeit angefleht haben, Überlebensmöglichkeiten anzubieten: dass ihre Lieben die Flüge getauscht, die Pläne geändert haben. Sie hatten für Rettung durch Fehler gebetet – vielleicht ist sie nicht an Bord gegangen, er hat erwähnt, er könnte eine Nacht länger bleiben. Dennoch steigt der Mann ins Flugzeug, um innerhalb von Stunden bei Peri zu sein, fast immer, wenn sie sagt, dass er gebraucht wird. Fast. Es gibt Sonntage, wenn er mit ihr auf Gartenpartys geht, Abende, wenn er einwilligt, mit ihr zum Dinner des Metropolitan Opera Club zu gehen, wenn er sie am Arm in ihre Parkettloge führt und dann die Posen und Wiederholungen auf der Bühne durchsteht: die massigen, schreienden Frauen, die Männer mit den rudernden Armen, das unglaubwürdige Durchspielen ihrer dicken Romanzen.
Auch wenn er die Oper herzlich wenig leiden kann, rät er ihr nie davon ab, sie mit schwindelerregenden Summen zu unterstützen. Es gibt genug Peri für alle.
Bei dieser oder jener Abendgesellschaft hat er dem Großspendenverwalter einen Blick zugeworfen und gewusst, sie dachten beide – Es gibt genug Peri für alle.
Und Peri hat die Telefonnummern des Mannes, und ziemlich oft redet er mit ihr durch eine leere Nacht, bis in die grauen Morgenstunden, wenn sie will. Sein Schweigen, seine Abwesenheiten sind sehr selten – das nötige Minimum, um ihr Verlangen zu steigern – denn vor allem will er Freude bereiten.
Andererseits ist es auch nicht besonders schwer, Abhängigen Freude zu bereiten: Man muss sie nur ein ganz klein wenig hungern lassen und sie dann mit der Droge ihrer Wahl füttern. Wer den Schuss gibt, wird geliebt. Und wenn er die Droge ist, was könnte dann schöner sein, als durch die Wolkendecke zu sinken, die Rückenlehne in aufrechte Position zu bringen, den Tisch hochzuklappen, zähneknirschend die Landung durchzustehen, zum Einwanderungsschalter zu marschieren – zum Vergnügen hier, besuche eine Freundin – ja, ich besuche sie oft – nichts Romantisches, nein, sie könnte meine Mutter sein – nein, auf so etwas stehe ich nicht – zur Gepäckausgabe und dann nach seinem Namen in verschmierter Blockschrift auf einem Schild suchen – A. LOCKWOOD – dem Limousinenchauffeur, der es in der Hand hält, zunicken, dann aus Newark hinweggleiten, sich entspannen und direkt zu ihrem Wohnhaus rollen, hineingehen und höflich mit dem Portier plaudern – der Richard heißt und A. Lockwood mag, ihn als Freund betrachtet und ihm gestattet, hinaufzufahren. Und dann fährt er mit dem Fahrstuhl – original Art deco – fünfzehn Stockwerke nach oben, wo sich die Türen, immer etwas verstörend, direkt in Peris Heim öffnen, ein Apartment am Beekman Place: französische Antiquitäten, Erkerfenster, Aussicht auf den East River und ein mit formgeschnittenen Sträuchern ausgestatteter Balkon.
Er besucht Mrs Arpagian regelmäßig, hat ihre Ergebenheit, ihre Sehnsucht über Jahre gepflegt. Er hat ihre Wunden gesucht und sich in ihnen eingeschlossen wie ein Geschosssplitter, der darin korrodiert. Und mit großer Sorgfalt – professionell und gewissenhaft
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