Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
– nimmt er ihre Möbel war, ihre Dekorationen, den ganzen herrlichen Plunder ihres zuvor geteilten Lebens, und er hört nicht auf, davon zu lernen. Er hat sich angewöhnt, sich ins Bad zu entschuldigen und dann durch ihre Wohnung zu trotten: in Schlafzimmer zu schlüpfen, Wandschränke, Garderoben, Medizinschränkchen zu inspizieren. Er hat nach und nach jeden heimlichen Ort ihrer Privatsphäre befühlt und erforscht. Er macht es sich zur Aufgabe – denn es ist seine Aufgabe – Informationen zu sammeln.
    Dabei erzählt sie ihm ohnehin geradeheraus praktisch alles, was er brauchen könnte, ohne dass er fragen muss. Nicht gerade eine Herausforderung, Peri Arpagian.
    Hat mich von Beginn an wie einen kranken Neffen behandelt: getätschelt, verhätschelt, auf ihre Weise verwöhnt. Hat mir einen Schal geschenkt – keine Patek Philippe, keine Studie von Gauguin, keinen Alfa Romeo, keines der Wunder, die sie sich leisten könnte – nur einen Schal und etwas Kuchen. Persönliche Geschenke – ohne den Wunsch, zu beeindrucken oder zu beherrschen.
    Du weißt, du hast sie in der Tasche, die Reichen, wenn sie dir Geschenke machen, wie sie jeder machen könnte, wenn sie versuchen, für dich gewöhnlich zu sein.
    Als ich zum ersten Mal hinüberflog, schneite es unaufhörlich, und das Gewicht Manhattans kam darunter zum Stillstand, aber ich hatte gesagt, ich würde da sein, also war ich da. Ich ging zu Fuß – eine Stunde lang – immer im Kreis, die Sixth Avenue hinauf, dann nach Osten, die First hinunter, immer weiter, dieses furchtbare Beißen, wenn ich mich in den Wind drehte – Strafe für das, was ich tun muss, eine kleine Gebühr – Ich konnte nirgendwo ein Taxi finden, und die U-Bahn habe ich nie richtig gemeistert – die U-Bahn kommt gar nicht in die Nähe – niemand von Belang braucht sie dort, darum bleibt sie fern – es tut mir so leid, ich glaube, ich bin zu spät, bin ich viel zu spät? – kam feucht, derangiert, durchgefroren an – die grausam kalte Luft vom Fluss hatte meine Ohren abgetötet – Richard sah mich schräg an. Hätte ich nicht so einen guten Schneider – unser Richard erkennt einen guten Anzug, ist selbst ein ziemlicher Dandy an seinen freien Tagen – den britischen Akzent nicht so übertrieben, hätte er mich nicht eingelassen – erwartet oder nicht.
    Aber in vornehmer Bedürftigkeit aufzulaufen: Ich wusste, das würde ihr gefallen, sie würde mich umsorgen wollen: Imee anweisen, meine Schuhe und Socken zu trocknen, Hausschuhe besorgen lassen. Einen Mann in Hausschuhen in der Wohnung – den behält man länger da, als man sollte. Mit dem redet man. Mit dem teilt man Geschichten, die er eigentlich nicht hören sollte.
    Ich blieb über Nacht – kleines Abendessen, nichts Besonderes, Fleisch, Gemüse, Feigen mit Käse, weitere Konversation – vertrau ihr etwas an, dann revanchiert sie sich – und dann sahen wir uns einen Rock-Hudson-Film an: Peri legt Wert auf erstklassige Unterhaltungselektronik, hat einen Freizeitraum mit einem verstimmten Klavier aus Walnuss, eine teure Stereoanlage mit Walnusslautsprechern, einen noch teureren Beamer, eine speziell beschichtete Wand, zur Bereicherung der Bildqualität, und die Lautsprecher, die den Fußboden beben ließen, die sie auch erklingen lassen würde, wenn sie nicht in einem zweistöckigen, schallsicheren Apartment wohnte – Samstagmorgens dreht sie auf und hört Dizzy Gillespie, Benny Goodman, Artie Shaw: Die Fensterscheiben erzittern, die Wände geben ein wenig nach, der Fußboden wird beinahe zum Tanzen gebracht, beinahe – wie eine Art Wut, ihr Bedürfnis nach Lautstärke, nach mächtiger Musik, ihr Hunger nach Berührung durch Töne. Es wäre ihr egal, wenn sie die Trommelfelle des ganzen Häuserblocks schädigen, ihren Nachbarn den Schlaf rauben, Risse in ihre Wände sprengen würde.
    Das tut sie zwar nicht, aber das ist ihre Entscheidung – ihr Verhalten ist immer ihre Entscheidung. Millionäre mögen keine Einschränkungen: Gesetze – selbst Naturgesetze – sind so selten im Weg, dass sie immer plump wirken, blasphemisch.
    Nach dem Film werde ich mit Pyjama und Morgenmantel ausgestattet – nicht von ihrem Mann, noch aus den Tagen, da sie Gäste hatte, da sie beide Gäste hatten – und dann ein leises Gute Nacht und Schlummern in ägyptischer Baumwolle. Ich küsste sie auf die Wange, bevor wir auseinandergingen – hielt die Geste sehr knapp und englisch, galant, harmlos. Sie roch nach importierter Geißblattseife.
    Bis zum

Weitere Kostenlose Bücher