Das blaue Buch - Roman
seiner Aktivitäten krank oder zugrunde gerichtet waren.
Ich hätte sein Freund sein können.
Wären da nicht die Vergiftungen und die atemberaubende Gier.
Atemberaubend. Wie Lungenkrebs – der ihn dann umbrachte. Mels starb an der gleichen Krankheit wie seine Bergarbeiter und jene, die in Windrichtung neben seinen Unternehmen lebten – verdammt noch mal nicht zu überleben – die Erwachsenen und Kinder, die weiter neben den gähnenden Stollen, den verlassenen Abraumhalden atmeten und aßen und spielten. Es ist gut zu teilen, die Folgen zu sehen – das erinnert uns daran, dass wir alle zur selben Spezies gehören. Sein Krebs breitete sich so rasend schnell aus, dass er nach wenigen Monaten am Ende war, trotz der beispielhaften Behandlung.
Peri legt mir den Schal sanft um den Hals – um die empfindlichen und wichtigen Lymphdrüsen, um die unversehrte Kehle – macht vorn einen Knoten und steckt ihn mir dann in den Mantel.
Wie meine Mutter.
Nicht wie meine Mutter – wie eine Mutter.
Und sie bekommt mein Bestes, annähernd meine beste Arbeit: zutreffende Einzelheiten, Gespräche, Lieder, Witze – der gute alte Mels und seine Scherze – seine Streiche – seine ironische Furcht vorm Rauchen: makelloses Material, unwiderruflich überzeugend. Es ist schmutzig, was ich mit ihr anstelle, aber das bedeutet nicht, dass ich nachlassen kann – es verstärkt eher meine Motivation, mich selbst zu übertreffen. Und ohne mich wäre sie schon lange tot. Seit wir angefangen haben, sind ihre Gesundheit, ihre Haltung, ihre Haut eindeutig besser geworden – sie geht wieder zu den Benefizdinners, zu den Stillen Auktionen für wohltätige Zwecke – sie mag Off-Broadway-Theater, provokante Kunstausstellungen: gefahrlose Abenteuer – Martin, der schicke schwule persönliche Assistent, immer knapp hinter ihr, der Chauffeur parkt wartend in der Nähe. Sie wiederholt sich nicht mehr oder vergisst Dinge, weil sie Mels nicht vergessen hat, weil sie weder ihn verloren hat noch das, was sie ihm geboten hat, was sie in ihrem Innern für ihn war. Er ist wieder da, und sie auch.
Sophie Myers hat ihr meinen Namen weitergegeben. Ich lebe von Empfehlungen, von den Frauen, die mich bereits hatten und die mit den Frauen sprechen, die mich brauchen; sie geben mich weiter wie einen Infekt.
Immer die Frauen.
Sophie hat für mich gebürgt. Sophie Myers, die Witwe von Christopher Myers III – der schmerzlich vermisste Kit – der seine Yacht so sehr liebte, und die Wochenendtrips nach Venedig, und die Zerstörung einer ganzen Reihe von Feuchtgebieten und afrikanischen Staaten.
Habe ihn nach dem Tod alles bereuen lassen. Sophie engagiert sich daher mächtig für AIDS-Waisen und Naturschutz – zahlt Medikamente und Schulen, lässt Brunnen bohren, gibt Müttern Mikrokredite, sorgt für Malariaprophylaxe. Und dann unterstützt sie noch Filmteams, die das Schlachten von Delphinen und das Verstümmeln von Haien dokumentieren. Ein wenig tut sie auch für die Säuberung von Seevögeln, wenn es eine Ölpest gegeben hat. Sie spendet großzügig für Pelikane und Tölpel.
Ebenso großzügig spendet sie mir.
Aber sie wird nie ganz so großzügig sein wie Peri.
Denn Peri kriegt Angst. Ihre Mutter hat beim zweiten Mal reich geheiratet – den großen bösen Stiefpapa Warbucks – und nach allem, was man hörte, hat sie es auch genossen – ihr Geist schaut von Zeit zu Zeit herein, und ich lasse sie so etwas sagen – aber Peri hat nie darauf vertraut, dass ihre Lage sicher sei. Genug Kapital, ganze Dörfer zu verhätscheln, ein Dutzend Lebensalter zu genießen, und doch liegt sie wach und rechnet mit Drohungen.
Und ich helfe nach.
Weil ich ein schlechter Mensch bin.
Glaubte ich an die Hölle, wäre ich sicher, dies brächte mich dorthin: Peri Angst einzujagen und ihr dann Schutz zu verkaufen.
Frag jeden von den Arschlöchern, die so etwas tun, weil sie Sadisten sind, Psychos, Ungenügende, Unbedeutende, Blutsauger – die das lieben, weil ihnen bei Hirnwäsche einer abgeht, weil Macht sie geil macht – frag jeden der üblichen Verdächtigen, und wenn sie ehrlich sind – was sie nie sind – dann werden sie sagen, dass man am besten und am leichtesten mit Angst verdient. Gib den Leuten einen Himmel mit Glöckchen dran: Bildung, Erleuchtung, alle coolen Leute, die sie immer schon mal treffen wollten: ja, okay, dafür werden sie bezahlen. Bring ihnen ihre Toten zurück, lass sie hören, sprechen, berühren, küssen, lass sie sich wieder
Weitere Kostenlose Bücher