Das blaue Buch - Roman
Frau sollte beispielsweise einem klugen blonden Jungen ihre Mutterliebe vorenthalten, oder ihrem Sohn nie richtig in die außerordentlichen Augen voller Meer und Verlangen schauen. Das würde ihm schaden. Es könnte eine wahrscheinlich unauffällige Seele dazu treiben, sich einzufalten und aus dem, was er einmal werden könnte, ein verschlossenes Päckchen zu machen, ein unappetitliches Geheimnis. Eine gute Mutter würde Statistiken studieren und dann wahrscheinlichen Ursachen für Verletzung und Tod aus dem Weg gehen: Verkehrsunfälle, Ersticken, Ertrinken, Gifte, Stromschläge, Stürze. Sie wäre aufmerksam. Und sie wäre freundlich – sie würde ihn lieben, über ihn staunen, freundlich sein; sie würde nicht wollen, dass er im Glauben aufwächst, von Anfang an fehlerhaft gewesen zu sein. Sie würde nicht wollen, dass er entweder niedergeschlagen oder misstrauisch jeder Zuneigung gegenüber wird, vom Ansturm der Hoffnung zugleich verärgert und gelähmt – kurz gesagt, ruiniert für jede andere Frau, die ihm etwas bedeuten könnte.
Allerdings sollte nichts von alledem für dich von Bedeutung sein. Es ist so irrelevant wie der Mann A, der vielleicht dort im Café sitzt und ein Buch liest. Er tut das womöglich weder verschämt noch demonstrativ, sondern liest einfach – hat vielleicht immer ein Buch oder eine Zeitung bei sich, falls er auswärts isst, erwartet vielleicht im Normalfall, dass er alleine isst und trinkt, bleibt dabei weder glücklich noch unglücklich, sondern verharrt reglos in einer Art Resignation und ist weder dumm noch abgestumpft genug, sie Zufriedenheit zu nennen. Und möglicherweise wurde er einmal geliebt, und ein Zipfel von ihm erwartet es immer noch, ist wachsam, verrät ihn an jede Enttäuschung. Berühre ihn mit ausreichender Zärtlichkeit, und vielleicht fängt er Feuer und lächelt.
Und das wäre unerträglich traurig und traurig und traurig.
Und ginge dich nichts an. Du hast keine Verbindung zu irgendwelchen Café-Insassen, die du jemals beobachtest. Denn du beobachtest keine Freunde. Solltest du jedenfalls nicht.
Doch anonyme Leben, ihre Nähe, kann manchmal eine Art Sicherheit, ein Trost sein. Wenn du deinem Denken erlaubst, die Vorstellung eines Menschen zu berühren und festzuhalten – wer sie sein könnten – dann kann dich das besänftigen. Das sind Menschen, die du entziffern kannst, die dich erwärmen können, aber die du niemals treffen musst.
Das schadet niemandem. Es ist nicht aufdringlich.
Seltsamerweise wirst du, wenn du dich an deine größte Einsamkeit erinnerst, nicht daran denken, dass du allein bist, wirst keine unbekannten Berufe und Wohnungseinrichtungen raten wollen. Du wirst dich erinnern, dich bemüht zu haben, womöglich gut angezogen und doch vollkommen überzeugt, dass dies nur deinen offensichtlichen Mangel hervorheben wird – und es wird Menschenansammlungen gegeben haben, Lachen, das nicht dein eigenes war, den Schock der Unerreichbarkeit deiner Freunde und Liebsten. Diejenigen, die dir am nächsten hätten sein sollen, sind fort gegangen.
y) Bedenke deine Liebe, konzentriere dich, schließe vielleicht kurz die Augen und lass sie in voller Stärke wirken, lass sie erwachen, in dir aufflackern wie Musik, so dass sie deine Flanken kitzelt, sich dreht und an dich drängt wie die allerschönste Musik – elektronische Hilfsmittel sind nicht nötig – wie die Lieder, die dein Herz verwandeln, die dich durch öffentliche Räume leiten, als würdest du tanzen, als würdest du unter nahendem Gewitter rennen, das dir die Haare wehen und dich tanzen lässt.
Aber nicht, wenn deine Liebe weg ist, oder verdorben: dann könntest du sie nicht in der Nähe deiner Gedanken ertragen. Versuch es nicht.
Denn du kannst es nicht.
Solltest nicht.
Kannst nicht.
Solltest nicht.
Kannst nicht.
Ein klein wenig Kreuzigung in jeder Handfläche.
Du merkst, wie du dir die Haut reibst.
ELIZABETH HOFFT, DEN Nachmittag zu überstehen, indem sie einen Film anschaut, einen aus der reichen Auswahl aktueller Hits, die das Schiff zu bieten hat.
Denk nicht an einen Mann A und gib ihm keinen Namen oder wissende Hände, seinem Rücken eine Linie. Oder wenn es sein muss, dann stell dir vor, dass er sein Alleinsein wegen des eigenen schlechten Gewissens kultiviert, dass er sich aus freiem Willen traurige Angewohnheiten zugelegt hat, sie bevorzugt und du in keiner Weise für ihn verantwortlich bist.
Du solltest ihn sich selbst überlassen.
Zu viele Dinge hat er selbst gewählt
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