Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
Vorstellung ist verstörend. Sie weiß nicht, wo er hergekommen ist, hatte angenommen, allein zu sein – sie ist also eine Weile wehrlos gewesen.
    Er lässt sich neben ihr fallen, setzt sich und zieht die Knie hoch bis ans Kinn. »Wie früher als Kind, oder?« Und ganz plötzlich ist er gesellig, locker. »Spät auf sein und heimlich nach den Geräuschen der Eltern spähen.«
    Aber er ist nicht ihr Vertrauter und dürfte nicht locker sein, also sagt Beth ihm: »Nach Geräuschen kann man nicht spähen. Man kann sie überhaupt nicht sehen. Genaugenommen.« Sie hat das Gefühl, er könnte nicht eingeladen sein – er sieht jedenfalls nicht nach Sarah oder Elaine aus – langes blondes Haar und ein penibel gestutzter Bart, eine intelligente Ausstrahlung.
    Die er wahrscheinlich vorspiegelt.
    Er sieht aus wie General Custer – also kann er nicht besonders helle sein.
    Er sieht aus wie ein Hochstapler.
    Er sieht nicht wie ein Teil ihrer Zukunft aus – ein langer, flatternder Riss, auf Jahre und Jahre und Jahre hinaus. Sie hat keine Vorhersage in der Tasche, die ihr bedeutet: Am vierten Tag des dritten Monats im Jahr 1989 wird Elizabeth Caroline Barber Arthur Peter Lockwood kennenlernen, und sie werden von da an und für immer nicht gut füreinander sein.
    Er gefällt ihr nicht mal – nicht besonders.
    Er sitzt so dicht es geht neben ihr, ohne sie zu berühren, und der Raum, den er zwischen ihnen lässt, hat etwas Heißes und Aufdringliches. Es ist schwer, ihn nicht zu bemerken.
    Er gefällt ihr nicht – sie bemerkt ihn.
    »Pardon?« Beth fragt sich, warum man so etwas sagt, wenn man doch eigentlich findet, dass dem anderen Menschen etwas leidtun sollte, und es ihm aber überhaupt nicht leidtut.
    Er wiederholt: »Wolkenbeeren.« Und starrt durchs Geländer, als hätte er noch nie Flirten und Trinken und Rauchen beobachtet – das leicht wichtigtuerische Weiterreichen von Joints, schlechtes Tanzen zu Sarahs katastrophaler Musik, erblühende, sich wandelnde, aus der Bahn geworfene Beziehungen. Es scheint, als fände er diese Dinge herrlich, fast hypnotisch. Dann schaut er sie an, das Gesicht größtenteils im Schatten, doch eindeutig seine eigene Neugier genießend. »Wolken. Beeren. Danach hast du gesucht.«
    »Ah.« Und sie wünscht, sie wäre nüchterner, könnte effizienter mit ihm umgehen und sich absetzen. »Ja.« Er macht den Eindruck, zwar exzentrisch, aber gefahrlos zu sein, doch ihr fällt auf, dass niemand in so kurzer Zeit so gefahrlos wirken sollte – das ist nicht normal. »Verstehe.« Doch zugleich hat er recht: Wolkenbeeren ist die Antwort, die sie gesucht hat. Unten im Wohnzimmer hatte Beth – sie weiß nicht mehr, wieso – leidenschaftlich ihren Orinoco-Womble-Geburtstagskuchen von früher beschrieben. Mittendrin war ihr aufgefallen – nach vier oder fünf Gläsern von Elaines verstörend bläulichgrüner und sehr süßer Bowle –, dass sie sich nicht mehr erinnern konnte, was Wombles aßen. Dabei war sie ein Riesenfan der Wombles gewesen – sie hatte alle Bücher gelesen und eine Onkel-Bulgaria-Puppe besessen und alles. In diesem Moment war ihr das Wissen um die übliche Womble-Ernährung eminent wichtig, sogar lebenswichtig erschienen – sie gab lauthals ihrem Bedauern über die Wissenslücke Ausdruck und erklärte nur halb im Scherz, dass ihr Wesen, ihr wahres Sein , womöglich gänzlich davon abhing, dass sie sicher sein konnte, sämtliche imaginären Wesen, die ihre Kindheit abgepolstert und bereichert hatten, jederzeit richtig füttern zu können.
    Doch inzwischen war die Information weniger wertvoll, fast irrelevant. »Klar … Wombles aßen Wolkenbeeren.«
    Sie hatte den Mann nicht wahrgenommen, als sie von dem Kuchen erzählte, hatte ihn nicht gesehen, was darauf hinweist, dass er sich gut auf Heimlichkeiten versteht, dass er gewohnheitsmäßig lauscht. Es könnte bedeuten – auch wenn sie daran nicht denkt –, dass ihre Not, ihre Bestürzung der Grund für sein Lauschen waren, dass er darum gekommen war und die Chance ergriffen hatte, ihren Geist leicht geöffnet zu erwischen – als hätte er seinen Finger in ein Buch gesteckt, um die Seite nicht zu verschlagen.
    »Hi. Ich bin Arthur.«
    Arthur der Spion.
    Aber ein Spion konnte nicht Arthur heißen, das würde nicht passen – so wie Hilda oder Bert oder Mavis – alles keine Namen für Spione.
    »Nenn mich Art.« Das mit der Miene eines Menschen, der seinen ersten Spitznamen anregen will, und zwar einen guten.
    Ich will dich gar

Weitere Kostenlose Bücher