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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Stimme ernst. »Es hilft mir fühlen. Ich schlafe voll bekleidet und mit Handschuhen, ich halte mich bedeckt, und dann, wenn ich … dann fühle ich besser.«
    »Ich sollte gehen.«
    »Wenn ich meine Handschuhe ausziehe und dich an den Schultern halte …« Seine Stimme ist verändert, enthüllt, irgendwie bei der Arbeit . »Dann wirst du mir sagen, wer dir hier der liebste Mensch ist – oder wo dein Schlafzimmer ist – oder was du für das hässlichste Dekorationsobjekt im Haushalt hältst – nein, die ist nicht fair: Das ist das große gläserne Seepferdchen-Skulpturen-Ding im Wohnzimmer, das dem blonden Mädchen gehört; der gefällt es, aber du möchtest es zerschlagen: Heute Nacht wirst du es zerschlagen und es auf einen der Gäste schieben – du solltest es mir anlasten – oder du könntest mir sagen, welches dein Schlafzimmer ist, und mich hinführen.«
    »Das hast du schon gesagt.«
    Jetzt mit ganz kleiner Stimme, sachlich. »Das war ein Beispiel.« Und er zieht beide Handschuhe aus – dunkles, dünnes Leder, faltig und zerknautscht und zerknickt vom Gebrauch, wie die Haut anderer Hände – und er steckt sie in die Tasche und legt ihr die Finger auf die Schultern. Und wieder schiebt er seine Worte behutsam an ihr Ohr, ist wieder er selbst – was sie schon ein wenig für sein eigentliches Ich gehalten hat. »Du denkst einfach und lässt deine Schultern erzählen. Denk das, was du mich wissen lassen willst … Ja, ich bin ein Arsch und ein trauriger und ziemlich schmieriger Typ, aber das nicht … Danke. Denk, dass dein Name Beth ist. Danke. Denk, dass du nicht Sarah heißt, denn dann würdest du auf höchst nervende Art schniefen und durch den Mund atmen – verstopfte Nebenhöhlen … und wieso bist du bei ihnen, bei ihnen beiden? Sie passen nicht zu dir – und du willst sicher, dass sie nicht passen … aber das spielt keine Rolle – wieso denkst du nicht an deinen liebsten Menschen hier, an den, der dich am meisten interessiert – danke – bring dich dazu, mir das zu sagen – danke – lass es mich wissen. Deinen Favoriten. Danke, Beth. Vielen herzlichen Dank.«
    Er dankt und dankt ihr – als würde sie ihm Geld in die Taschen stecken.
    Sie hat das Gefühl, er könnte lächeln – als könnte sie in seiner Berührung ein Lächeln spüren, und im Druck seiner Flanke, seinem aufsteigenden Atem an ihrem Rücken – und dann löst er den Kontakt, hebt ihn auf.
    Sie bleiben eine Weile stumm sitzen, mit der Party unter sich.
    Art zieht sich zurück, zieht die Handschuhe wieder an, schlingt die Arme um die Knie.
    Und Beth hört sich sagen: »Großer Einsatz.«
    »Woran du dich erinnern wirst.«
    »Wirklich.«
    »Oh ja – du wirst dich immer daran erinnern, wie wir uns kennengelernt haben – gibt eine schöne Geschichte für die Kinder, das Kind, das Hündchen, die Katze …«
    »Andererseits war es vielleicht nicht genug Einsatz.« Beth beschließt jetzt, sich Sorgen zu machen, dass er ihre Adresse kennt – sich im Augenblick an ihrer Adresse aufhält – und dass er womöglich seltsamer ist, als er aussieht. Es wäre allerdings schwer, seltsamer zu sein, als er aussieht.
    Aber er umarmt sich weiter selbst, starrt Leute an, die nicht sie sind, belästigt Beth nur mit kleinen Sätzen, die er in sich hineinmurmelt. »Wahrscheinlich. Ich weiß nicht. Ich rate. Ich habe dich heute Abend gesehen und geraten …« Er reibt sich das Kinn an den Unterarmen, und sie hört das Schaben seines lachhaften Bartes. »Ich bin der Ansicht, dass du Einsatz verdient hast. Die Ergebnisse kann ich nicht garantieren.«
    Zwei oder drei Stunden später – hinterher kann sie sich nicht erinnern, wie lange sie gewartet hat – wird sie nach unten gehen, durch die Partyreste und das Halbdunkel, und das große gläserne Seepferdchen-Skulpturen-Ding vom Kaminsims stoßen, es irreparabel zerschlagen. Niemand wird hören, wie sie es tut, und sie wird Arthur die Schuld für den Verlust geben.

»WIE GEHT ES Ihnen heute Morgen? Guter Morgen?« Mila ist die für Beths und Dereks Kabine zuständige Stewardess. Mila ist wetterfest und fröhlich, ihre Art zu sprechen melodisch durchdringend. »Ihr Mann? Drei Tage krank, vier Nächte krank, das ist nicht gut. Geht ihm ein bisschen besser?« Milas Interesse an ihren Schützlingen ist so herzlich wie erschöpfend.
    Beth versucht nicht mehr zu erklären, dass Derek nicht ihr Mann ist, dass er bis vor ganz kurzer Zeit ihr Mann werden wollte, was aber jetzt zweifellos nicht mehr der Fall

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