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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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nichts nennen, vielen Dank auch.
    »Na dann, Art …« Und Beth sammelt ihre Kräfte zum Gehen. Als sie das tut, legt er seine Handfläche kurz und fest auf ihren linken Handrücken und lächelt, ehe er sie gehen lässt und den Kopf wieder zum Geländer wendet und sich der Betrachtung der anderen Gäste widmet.
    Sie will eigentlich gar nicht nach unten gehen, in das schwüle Gedränge und Gefummel. Es läuft irgendein schrecklicher Schlager, dabei würde sie lieber die Kinks oder Cream hören, oder zumindest glaubhafte Musiker aus einer Zeit, als es noch cool und wichtig und würdevoll war, Student zu sein. In den Sechzigern war sie noch ein Kleinkind, doch sie könnte schwören, dass sie damals trotzdem wusste, wie prächtig alle gediehen, wie großartig sie waren, und bereits begriff, dass ihre eigene Generation von gegenseitigen Enttäuschungen verfolgt werden würde. Sie erinnert sich und möchte zu gern darauf verweisen, wie früh bei ihr so etwas wie Nostalgie einsetzte: die kleine, ernste, fünfjährige Beth in einer Reihe selbstgestrickter Wollpullover, die den Leuten erzählt: »Als ich vier wahr …«
    Knetgummi und abgerundete Papierscheren und jeden Tag einen goldenen Stern fürs Altsein …
    Beth betrachtet ihren Handrücken erst nach etwa einer halben Stunde, bemerkt vorher nicht, dass dort zwischen Fingerknöcheln und Handgelenk BETH in lila Lettern geschrieben steht – erst als ein mit Sarah befreundeter Maschinenbaustudent sie darauf hinweist. »Hast du Angst, dass du deinen Namen vergisst? Ist es deswegen? Dass du im Park aufwachst? Ja? Glaubst du das? Ich bin letztes Jahr im Park aufgewacht …« Er kichert und schüttet sich etwas Snakebite aufs Rugbyshirt.
    Beth verpasst weitere aufregende Einzelheiten des Parkvorfalls, weil sie sich durch die Menge schiebt, bis sie den Treppenabsatz wiedersieht.
    Das muss er gewesen sein – nenn mich Art – genau, was ich jetzt brauche – noch mehr blöden Quatsch – Amateurzauberei.
    Art kauert weiterhin wie ein knochiges Bündel am oberen Ende der Treppe. Sie wartet, dass er den Kopf hebt.
    Die sind doch immer gleich, die gern Spielchen spielen: Wenn sie ihren Trick angefangen haben, müssen sie sehen, wie er aufgeht.
    Doch er rührt sich nicht, macht ganz den Eindruck, als sei er konzentriert und abwesend entspannt.
    Dadurch zwingt er sie, zu ihm hochzusteigen, ihn aufzusuchen.
    »Du hast die Farbe übertragen, als du mich berührt hast.« Beth setzt sich neben ihn, und als ihre Beine sich streifen, zieht er sich gerade weit genug zurück, den Kontakt zu vermeiden, komprimiert sich noch weiter. »Zufällig meinen Namen gehört?«
    Er lässt zu, dass sie seine Hände anhebt, sieht, dass er jetzt Handschuhe trägt.
    »Was soll der Scheiß?«
    Art bleibt ruhig, gelassen: zieht den rechten Handschuh ab, zeigt ihr die Handfläche, die lila Spiegelschrift, ihr Name in verschmierten Großbuchstaben. Er räuspert sich und sagt bedachtsam: »Jesaja 49, 15–16 … ›Und doch will ich deiner nicht vergessen. Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet …‹«
    »Funktioniert das bei irgendwem?«
    »Manchmal.«
    »Ernsthaft?«
    »Ich weiß nicht – du bist die erste, bei der ich es versuche.« Und dann murmelt er, zwängt sich wieder in den Handschuh. »›Deine Mauern sind immerdar vor mir.‹«
    »Was?«
    »Dieser Teil hilft allerdings kein bisschen … die Mauern … und ich finde, es klingt zu religiös.«
    »Die Bibel zu zitieren? Ja, das könnte religiös klingen.«
    » Zu religiös?« Er lächelt, sein Mund wirkt weich, von sich selbst verblüfft, von dem, was er vielleicht gleich sagen könnte. Schwer zu sagen, ob das auch zu seiner Nummer gehört – entwaffnend zu sein.
    »Vielleicht.«
    Und er lehnt sich einen Moment gegen sie, Schulter an Schulter, sanft, und dann wieder weg.
    »Soll ich dich nach den Handschuhen fragen?«
    »Nein.« Wieder das Lächeln, an seine Knie gerichtet. »Nein, das solltest du lieber nicht.«
    »Dann werde ich es tun. Wieso trägst du Handschuhe?«
    Und er saugt einen kleinen Schluck Luft ein – wie ein Fisch an Land – ein Fisch, der das Risiko liebt – und hebt an: »Weil ich fast immer Handschuhe trage. Ich schlafe damit.«
    »Fast immer …«
    »Ja. Das habe ich gerade gesagt.«
    »Unter der Dusche? In der Badewanne?«
    »Sei nicht albern.«
    »Ach ja, natürlich – «
    »Da trage ich Gummihandschuhe.«
    »Ah, noch natürlicher.«
    Er lehnt sich einen weiteren Atemzug lang an sie, das Gesicht ausdruckslos, die

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