Das blaue Buch - Roman
ist, dass er sich derzeit an einem mürrischen und enttäuschten Ort in seinem Kopf verbarrikadiert hat. Ihre Kabine fühlt sich irgendwie an wie sein Schädel, so als wäre man in einem verdrießlichen Schädel eingesperrt, der von innen her glattgerieben wird – abgestanden wie ein Kaninchenstall. »Nein. Es geht ihm nicht besser. Eigentlich nicht.«
Er ist auch nicht besser – nicht der bessere Mann – er sieht nur so aus. Verflucht deprimierend, wie oft ich schon auf die großen Blonden reingefallen bin, was mir hinterher leidtat, jede Menge unbehagliche Kaffeetrinken oder Abendessen, klamme Nächte mit dem Gefühl, dass ich irgendwas verlegt hätte, dass ich wegschauen und mich wieder umdrehen könnte, um zu finden, was ich wollte.
Wen ich wollte.
Und liegt das an Arthur oder an mir: Neige ich sowieso dazu, so etwas wie Arthur zu wollen? Männer wie Arthur? Ist er eine genetische Schwäche wie Diabetes? Oder steckt irgendwo in mir so ein Naziverlangen nach blauen Augen und blonden Haaren? Und etwas Kaputtem?
Bedeutet er, dass ich Rassistin bin?
Er bedeutet jedenfalls, dass ich nicht lange an ihn denken kann, ohne abzuschweifen – sonst ist er zu viel.
Ich würde mich ja schon gerne konzentrieren – Herrgott, bitte – wäre gern klar und eindeutig, aber nicht, was ihn betrifft, es darf nicht um ihn gehen – denn dann stellt sich heraus, dass ich keine Fanatikerin bin, sondern allein. Und es verlangt mich gar nicht nach einem bestimmten Typ.
Es ist nur so, dass ich weiß, wie man lernt, und ich habe einen Mann gelernt, aber ich kann ihn nicht haben, weil er in persönlichem Kontakt toxisch ist. Ich trage ihn in meiner Haut und vergesse ihn nicht, aber ich kann nicht bei ihm sein. Selbst wenn wir zusammen sind, sind wir nicht echt: Ich bin nicht ich, er ist nicht er.
Dabei ist jetzt meine beste Zeit – die er nicht bekommt. Früher, als ich die Haut, die Blüte, die Lockerheit besaß, da war ich nicht bereit: Jetzt sollten wir zusammen sein, denn ich glaube, ich habe einen Anfang gefunden, was wir tun müssten, wie wir sein könnten.
Es ist unterschiedlich für Männer und Frauen, das ist mir klar – ich habe die Gebrauchsanweisungen gelesen: Weiblich, 45–55; Männlich, i.d. 50ern, Akademiker; Weiblich, i.d. 30ern, Migrantin : Ich habe die Klassifikationen auswendig gelernt, die Lebenswege, habe eingehend erforscht, was man Fragenden sagen kann.
Männer erreichen ihren Höhepunkt früh, Frauen später.
Aber das ist nur ein sehr kleiner Teil der Geschichte.
Männer erreichen ihren Höhepunkt früh, aber dann können sie herausfinden, wer sie sind, was sie mit sich anfangen sollen.
Frauen erreichen ihren Höhepunkt früh und können dann immer weitere Höhepunkte erreichen. Das kann eine Katastrophe sein oder eine Tragödie, eine Wunde.
Wenn ich mit Mitte zwanzig kam, schien mir das bedeutsam: heute könnte ich mir den Ellbogen stoßen und wäre davon tiefer bewegt. Ich besitze Fähigkeiten, die ich kaum begreife.
Und manchmal berühren wir uns fast, aber nie ganz.
Stattdessen werden wir theatralisch. Wir verschwenden uns. Wir halten einander nicht und fangen dabei Feuer. Wir ruhen nie, genießen nie den Frieden unserer selbst. Wir sind nie richtig nackt. Wir begegnen uns überhaupt nie richtig und wahrhaftig.
Ich vermisse ihn. Und er vermisst mich.
Wir sind dumm genug, uns im Herzen zu zerstören.
Davon sollte ich ablenken.
Und es gibt sehr viele Varianten der Ablenkung.
In Worten, in Gedanken, in Taten.
Meine Ablenkungen drehen sich um die schwach Blonden und die unvollkommen Großen – die spindeligen, ausgewaschenen Arthur-Imitate und meine Unfähigkeit, sie zu mögen. In dumme Situationen stolpern, falls sie doch funktionieren sollten – versuchen, sich unter jemanden zu legen und ihn zu berühren, aber nicht allzu sehr – beweisen, dass ich am Leben und tauglich bin, auch ohne Arthur und mit irgendwem anders zusammen, aber nicht allzu sehr. Sie existieren alle nicht richtig – sie sind bloß irgendwer, der nicht Arthur ist.
Wie Derek.
Weiß auch nicht, was ich mir gedacht habe. Andererseits ist es genau das, was ich will – nicht zu wissen, was ich denke.
Also heißt es, die Augen schließen und lügen – im Liegen lügen – wessen Schulter auch immer so locker wie möglich halten – mir vorstellen, dass ein Spitzendeckchen oder eine Serviette zwischen uns liegt, etwas Isolierendes und Höfliches – und die Augen schließen und den besseren Mann fühlen wollen, doch
Weitere Kostenlose Bücher