Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
in seinen Augen war etwas Nacktes gewesen, das sich einen Augenblick erwischen ließ und dann wieder weg war.
    Und ich hätte auch schlussfolgern können: »Wie stehen die Chancen dafür, dass wir beide zur selben Zeit in diesem Hotel absteigen und dass ich genau in dem Moment an seiner Tür vorbeigehe, wo er dort steht und ich ihn sehen kann?« Ich hätte mir vorstellen können, unser Treffen sei so unwahrscheinlich, dass es ein Zeichen für das Wirken höherer Pläne sein müsse – unser Schicksal.
    Aber es gibt so viele Flure in so vielen Hotels und so viele Menschen, die sich dort getroffen haben – zu anderen Zeiten und an anderen Orten – es gibt so viele andere Menschen und so viele Nächte, wo so viele Schläfer womöglich nicht gestört werden wollen, dass die Chancen für irgendjemanden, irgendwo irgendwen zu treffen – selbst jemanden, den man früher mal geküsst hat – ziemlich hoch sind. Auch wenn bei um so höherer Anzahl von Variablen das Eintreffen eines Ereignisses um so unwahrscheinlicher wird, ist es dennoch kein Wunder, wenn irgendjemand irgendwo irgendwen im Türrahmen stehen sieht – irgendwen, dessen Handflächen, dessen Bauch sie schon geküsst hat – den sie schon bis an die Wurzel geküsst hat, bis dahin, wo er hart und süß und klug ist, und wo er will.
    Sie bleibt im sich hebenden und zurückfallenden Gang stehen und kann nicht mehr daran denken, vorwärtszugehen.
    Und er hat mich geküsst. Wir hätten vielleicht freundlich sein und es besser machen können, aber wir haben gar nicht so viel geredet – eher so getan, als folgten wir einem Plan und hätten beschlossen, einander zu geben, was uns vom Denken abhalten würde.
    Natürlich.
    Aber es gab keinen Plan, nirgendwo. Unser Treffen war Zufall, kein Wink, kein Geschenk, nichts, was uns dazu verurteilen würde, unser Leben mit Täuschen zu verbringen – so tun, als wären wir zwei geile Fremde auf der Jagd nach Höhepunkten.
    Deck Sieben wartet – lauter schwankende Perspektiven und ein rötlicher Teppich für den Filmstartouch.
    Ich kann mich nicht erinnern, ob ich ihm erzählt habe, dass mein Vater tot war.
    Einem richtigen Fremden hätte ich es erzählt – das wäre das allererste gewesen, was ich gesagt hätte.
    Und Beth wartet auch. Sie kann nicht zurück, aber sie kann auch nicht näher an die Kurve heran, die um die Hecklinie herumführt. Wenn sie um die Ecke biegt, wird sie Arthurs Suite finden, und er wird sie erwarten, weil das Büro des Zahlmeisters ihm verraten hat, dass sie unterwegs ist, denn reiche Menschen sollten keinen Überraschungen ausgesetzt werden. Beth kann sich vorstellen, seine Konzentration zu spüren, die gegen die Wände summt und bohrt.
    Aber er könnte auch ausgegangen sein – der Angelegenheit ausweichen, was ich vielleicht getan hätte.
    Tatsächlich bin ich ausgegangen und ausgewichen.
    Sie beschließt, stehenzubleiben und sich Sorgen darüber zu machen, nicht richtig angezogen zu sein. Das wird die Zeit vertreiben.
    Und was wäre wohl die passende Kleiderordnung für das hier? Was ist das richtige Outfit für so etwas wie Ehebruch, oder für verschiedene Grade des Betrugs, oder für den Neuanfang von etwas Altem? Das würde ich nicht ertragen. Der Neuanfang von etwas Neuem also. Was ich auch nicht ertragen kann.
    Sollte ich nackt sein, es hinter mich bringen, gleich dorthin abkürzen, wo wir am Ende doch landen?
    Oder schicke Unterwäsche? Haben wir versucht. Habe ich versucht. Der Mann muss das nie, so scheint es. Der bringt bloß schicke Bettwäsche mit.
    Noch mehr, was nicht zu ertragen ist.
    Unscheinbare Erscheinung, das ist das Ziel, unverbindlich, friedfertig – ein Ensemble, das andeutet, dass ich keine Mutmaßungen anstelle.
    Ich hätte mir das Haar zurückbinden, glattsprühen sollen, eine verdammte Sturmhaube darüber tragen sollen – es hat nämlich seinen eigenen Willen. Wenigstens einer von uns sollte auch einen haben.
    Ich werde nicht so sein, wie ich sollte, und er wird es sehen. Ich bin schon hässlich genug, wo man es nicht sieht, darum wäre ich an der Oberfläche lieber präsentabel.
    Sie schließt die Augen und bewegt sich vorwärts – blind zu sein hilft.
    Die Jeans, weil sie passen, sie sind bequem, ein Trost, der Pullover, weil er aus Kaschmir ist, und er sieht vielleicht nicht großartig aus – grün, das macht blass, und es beißt sich mit dem Teppich – aber er ist weich, und weich brauche ich.
    Flache Schuhe, weil ich lieber nicht fallen will.
    Bin schon eine

Weitere Kostenlose Bücher