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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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ein anderes Leben, in das sie fliehen wollten, sobald die Zeit dafür gekommen wäre.
    »Wann?«, hatte Mara gefragt.
    Und Timon hatte leise gelacht, dieses zärtliche, dunkle Lachen, das sie nur mit einem langen Kuss beantworten konnte, jedes Mal, immer und immer wieder.
    »Sei nicht so ungeduldig«, hatte er dicht an ihrem Ohr geflüstert. »Niemand kann uns trennen. La Lune hat uns doch sowieso füreinander bestimmt.«
    »Das sind noch zwei endlose Jahre!«
    »Die Zeit ist gekommen, wenn sie gekommen ist.« Er redete oft in Rätseln.
    »Wir können nicht warten, Timon. Was ist, wenn wir vermählt werden?«
    Er küsste ihren Hals, fuhr mit der Zungenspitze über ihre Ohrmuschel. Es überrieselte sie heiß und kalt.
    »Und wenn wir ein Kind bekommen?«
    Er nahm sie bei den Schultern und hielt sie ein Stück von sich ab. »Warum musst du nur immer über Probleme reden? Haben wir nichts Besseres zu tun?«
    »Sie werden es uns wegnehmen, Timon!«
    Er zog sie wieder an sich. Sie legte den Kopf an seine Schulter und überließ sich seinen Händen.
    Die Möglichkeit zur Flucht war immer in ihren Köpfen gewesen. Aber ihre Körper wollten Berührungen spüren. Nie waren sie dazu gekommen, wirkliche, handfeste Pläne zu schmieden.
    Und jetzt? Was würde sein, wenn Mara aus dem Strafhaus entlassen wurde? Würde man sie und Timon in den kommenden zwei Jahren nur streng überwachen? Oder würde La Lune ihre Wahl überdenken, einen anderen Partner für Mara bestimmen und für Timon ein anderes Mädchen?
    Timon. Wo war er in diesem Augenblick? Was taten sie ihm an?

    Timon machte seine Arbeit. Wie immer.
    Jana hatte ihn schon mehrmals zwischen den Schatten der Bäume auf dem Hof der Tischlerei umhergehen sehen. Sie hatte beobachtet, wie er einen dicken Stamm von einem Holzstapel gehoben und ihn in die Werkstatt getragen hatte. Ganz ohne Hilfe. Man traute ihm so viel Kraft gar nicht zu, aber er war stark wie ein Bär.
    Und jetzt kam er ihr auf dem Weg zur Bibliothek entgegen, die Hände in den Taschen, das Gesicht vom häufigen Aufenthalt im Freien gebräunt, das Haar von der Sonne gebleicht.
    »Hallo, Jana«, sagte er und blieb stehen.
    Jana nickte ihm nur zu. Sie gab sich Mühe, ihre Schritte nicht zu beschleunigen. Aber sie wäre am liebsten gerannt. Oder hätte ihn angeschrien. Wie konnte er seelenruhig seine Arbeit verrichten, fröhlich die Straße entlangspazieren, im Plauderton hallo zu ihr sagen und auch noch lächeln?
    Als wäre nichts geschehen.
    Sie hatten ihn umgedreht. Hatten ihn, genau wie Mara, stundenlang verhört und ihn dann einfach umgedreht.
    Er hatte Mara verraten. Mara und sich selbst und ihre Gefühle füreinander. Ohne Skrupel.
    Wirklich?
    Jana betrachtete sein Gesicht, als sie an ihm vorbeiging. Sie fand keine Spur eines Schmerzes, keine Spur einer Qual.
    Fast hätte sie vor ihm ausgespuckt.
    So leicht konnte man sich seine Freiheit erkaufen. Keine Bestrafung für Timon. Keine Verbannung. Keine Isolation. Und Mara saß im Strafhaus und wurde verrückt vor Angst um ihn. So war sie nämlich. Bei allem, was sie durchmachte, litt sie wahrscheinlich am meisten seinetwegen. Und hielt an der Liebe fest, aus der er sich davongeschlichen hatte.
    Jana beeilte sich. Sie hatte Gertrud mit ihrer herzlichen, zupackenden Art dringend nötig. In ihrem Zimmer hatte sie es nicht ausgehalten. Es war so leer ohne Mara und so bedrückend still.
    Aus der Backstube duftete es nach frischem Brot.
    Anna stand in der offenen Tür. Ihre Schürze war mehlbestäubt, ihre Wangen glühten von der Hitze am Ofen. Anna war schön, egal was sie gerade tat. Sie hätte sich in Schlamm wälzen können und wäre immer noch schön gewesen. Das blonde, von Silberfäden durchzogene Haar war lose im Nacken gebunden. Eine Strähne, die sich gelöst hatte, hing ihr in die Stirn. Sie hatte die Angewohnheit, sie wegzupusten, aber sie fiel immer wieder zurück.
    »Wie geht es dir, Jana?« Sie führte oft kleine Zusammentreffen herbei.
    »Gut«, sagte Jana. »Und dir?«
    »Mir auch. Ich wollte nur ein bisschen frische Luft schnappen.«
    Jana erschrak jedes Mal ein wenig, wenn sie Anna ansah. Es war, als schaute sie in einen Spiegel, der sie in zwanzig, fünfundzwanzig Jahren zeigte.
    Sie sah in ihre eigenen Augen, nur dass sie von vielen winzigen Fältchen umgeben waren. Sie sah auf ihren eigenen Mund, die Lippen nicht mehr ganz so voll, aber immer noch schön geschwungen und weich. Sie sah ihr eigenes Haar, wie es später einmal sein würde.
    Meine

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