Das blaue Mädchen
hochzog.
»Haben Kinder des Mondes Grund, sich zu fürchten?«, fragte La Lune.
»Nein. Aber wenn sie krank sind, spielt ihnen die Phantasie vielleicht Streiche.«
La Lunes Augenbrauen senkten sich wieder. Wenn Krankheit der Aufschrei einer verstörten Seele war, dann durfte man dem Kranken seine Gefühle nicht anlasten.
Schach, dachte Jana. Die erste Hürde hatte sie überwunden.
»Hättest du dich auch um ein anderes Mädchen so gesorgt wie um Miri?«, fragte La Lune.
»Ja.« Jana sah La Lune fest in die Augen. »Ich hätte es für jede meiner kleinen Schwestern getan. Aber ich weiß jetzt, dass es unrecht war.«
Sie senkte den Kopf und wartete.
»Ich verzeihe dir«, sagte La Lune endlich. »Und ich erwarte, dass du dich in Zukunft auf deine Pflichten besinnst und deinen Hang zur Aufsässigkeit bekämpfst.«
»Danke. Ich habe noch eine Bitte, La Lune.«
Mit einem Nicken gab La Lune ihr zu verstehen, dass sie ihre Bitte äußern durfte.
»Ich möchte meinen Fehler mit harter Arbeit wieder gutmachen und bitte dich, mir zu erlauben, Miri zu pflegen.«
Für einen kurzen Moment wirkte La Lune verwirrt. Sie schien Janas Bitte auf mögliche Hintergedanken abzuklopfen. Dann lächelte sie.
Matt, dachte Jana. Aus dieser Falle kommt sie nicht heraus, ohne vor den anderen ihr Gesicht zu verlieren.
»Das erlaube ich dir gern, mein Kind«, sagte La Lune und es war etwas in ihrer Stimme, das Jana an ihrem Sieg zweifeln ließ. »Sprich dich morgen mit den Pflegefrauen ab.«
Jana bedankte sich, rückte sich auf dem Sitzkissen zurecht und hörte La Lune zu, die über die Schwäche der menschlichen Seele sprach, die den Körper immer wieder anfällig für Krankheiten mache.
Aber ihre Aufmerksamkeit war nur oberflächlich. Sie dachte über den merkwürdigen Unterton nach, den sie in La Lunes Stimme wahrgenommen hatte.
»Verdammt!«, sagte Tim. »Und da behauptet ihr,
ich
würde mir immer die falschen Mädchen aussuchen.«
»Das hilft Marlon bestimmt enorm weiter.« Marsilio stand auf, um noch ein paar Flaschen Bier aus dem Kühlschrank zu holen.
»Für mich bitte nicht mehr.« Marlon winkte ab. »Ich hab genug.«
»Du musst sie da rausschaffen«, sagte Tim.
»Und wenn sie das gar nicht will?«, fragte Marsilio. »Du weißt doch, dass die ihren Mitgliedern eine Gehirnwäsche verpassen. Die sind gar nicht mehr sie selbst.«
»Aber ihre Freundin ist auch abgehauen, oder?«
»Das stimmt allerdings.« Marsilio ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen.
»Selbst wenn Jana sich entschließen sollte, die Kinder des Mondes zu verlassen«, sagte Marlon, »und selbst wenn ich sie da rausbringen könnte, was dann? Ich kann sie unmöglich auf unserem Hof verstecken.«
»Irgendwie erinnert mich das an die Mafia.« Tim war ein Fan von Krimis, die in diesem Milieu spielten. »Wenn sich einer von denen entschließt, auszusteigen und in einem Prozess auszusagen, dann fällt er unter diese Zeugenschutzprogramme, wo die Polizei den Leuten eine neue Identität verpasst, mit der sie abtauchen können.«
»Eine Sekte ist nicht die Mafia«, sagte Marsilio. »Die bleiben äußerlich immer schön legal. Hast du vergessen, dass ein Mitglied der Kinder des Mondes bereits im Gemeinderat sitzt? Diese Leute werden nicht nur geduldet, Junge, sie haben sich von dem großen Kuchen Macht schon ein fettes Stück abgeschnitten.«
Sie versanken in Schweigen, unterbrochen nur vom Knarren der Stühle, wenn einer von ihnen sich bewegte.
»Es gibt doch für alles Selbsthilfegruppen und Organisationen«, sagte Tim schließlich. »Warum nicht für Sektenaussteiger? Bestimmt hat irgendwer schon so was ins Rollen gebracht, wo sie Leute aus Sekten rausholen.«
»Natürlich! Mensch, Timmie!« Marsilio schlug Tim auf die Schulter. »Ich hab sogar mal was darüber gelesen. Allerdings ging es dabei um eine Sekte in Amerika. Da haben Angehörige von Sektenmitgliedern so eine Art Fluchthilfeorganisation gegründet. Wieso sollte es das nicht auch bei uns geben?«
»Jana ist noch nicht volljährig«, sagte Marlon. »Und ihre Eltern leben ebenfalls bei den Kindern des Mondes. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll.«
»Das ist doch rauszukriegen.« Marsilio war Feuer und Flamme. »Gleich morgen fange ich an nachzuforschen.«
»Wir zäumen das Pferd von hinten auf«, sagte Tim. »Zuerst muss doch klar sein, ob Jana die Sekte überhaupt verlassen will.«
Beide sahen Marlon an.
»Ich glaube, so weit ist sie noch lange nicht«, sagte
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