Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
Probleme, die ein Mensch hat, sind sehr häufig die Folgen von Verstrickungen in seine Bindungsbeziehungen über drei bis vier Generationen. «
FRANZ RUPPERT , Trauma, Bindung und Familienstellen
»Mich wollte eigentlich nie jemand haben«, sagt Silke. »Ich hab meine Eltern immer nur gestört.« Als sie selbst Mutter wird, erhofft sie sich von ihren Kindern all die Liebe und Aufmerksamkeit, die sie selbst von ihren Eltern nie bekommen hat. Die Kinder geraten in die aussichtslose und überfordernde Rolle, die emotional bedürftige Mutter zu versorgen. Sie strengen sich an, versuchen, es der Mutter recht zu machen, und werden unweigerlich zum Opfer des übermäßigen, weil nicht erfüllten und nun fehlgeleiteten Liebesbedürfnisses der Mutter.
Es ist wichtig zu verstehen, dass eine Rollenumkehr oft das Ergebnis einer transgenerationalen Lastenverschiebung ist. Eltern, die ihr Kind über einen längeren Zeitraum emotional nicht ausreichend versorgen können, sind entweder psychisch krank oder aber selbst als Kind nicht ausreichend versorgt worden. Diese Störung in einer Eltern-Kind-Beziehung hat dramatische Auswirkungen auf die Folgegenerationen, denn das emotional nicht ausreichend versorgte Kind wird Schwierigkeiten haben, später als Erwachsener seine eigenen Kinder entsprechend zu versorgen.
Diese mehrgenerationale Dynamik ist eine der am schwierigsten aufzulösenden, weil sie über frühe Bindungserfahrungen gesteuert wird und dem Bewusstsein oft nicht zugänglich ist. Und so wiederholt sich die Geschichte von emotionaler Unterversorgung und Rollenumkehr häufig, wie auch im Fall von Silkes Tochter Daniela.
Daniela ist Silkes älteste Tochter. Sie wächst in instabilen Verhältnissen auf, ihren Vater kennt sie kaum, er hat die Familie kurz nach ihrer Geburt verlassen. Männliche Bezugspersonen kommen und gehen, ihre Mutter Silke bekommt mit drei Männern vier Kinder, mit deren Betreuung sie überfordert ist. Silke ist enttäuscht, dass keiner der Partner und keins ihrer Kinder ihr die Geborgenheit geben können, nach der sie sich immer gesehnt hat. Daniela wünscht sich nichts sehnlicher, als irgendwann eine eigene kleine Familie zu gründen und alles anders zu machen. Sie nimmt sich vor, nur ein Kind zu bekommen und diesem dann all ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Als sie mit 19 Jahren von ihrem festen Freund schwanger wird, scheint ihre Welt perfekt zu sein. Doch kurz nach der Geburt trennt sich ihr Freund von ihr. Er ist der Verantwortung für Daniela und das Kind nicht gewachsen, er fühlt sich noch zu jung, um sich fest zu binden und ein Leben wie ein spießiger Familienvater zu führen.
Daniela wird der Boden unter den Füßen weggerissen, sie ist 20 Jahre alt, hat ein kleines Baby und keinen Mann an ihrer Seite. Die Phantasie vom heilen Familienleben wird ersetzt durch die Realität als alleinerziehende Mutter mit einem bedürftigen Säugling. Das Kind schreit viel, Daniela bekommt kaum Schlaf. Alles ist anders als gedacht. Daniela gibt das Kind abends oft bei ihrer Mutter oder bei Freundinnen ab, ihr ist alles zu viel. Sie will ausgehen, feiern, flirten. Am allermeisten wünscht sie sich einen Mann, mit dem der Traum der harmonischen und stabilen Familie doch noch Wirklichkeit wird. Bald verliebt sie sich wieder. Der junge Mann zieht bei ihr ein, Zukunftspläne werden geschmiedet, ein gemeinsames Kind soll noch mehr zusammenschweißen. Daniela wird mit ihrem zweiten Kind schwanger, es kommt zur Welt, als ihre erste Tochter zwei Jahre alt ist. Eine Weile hält die Beziehung, dann geht sie in die Brüche.
Daniela ist 23 Jahre alt und alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Sie fühlt sich vom Leben betrogen und lässt ihre Wut an ihren Kindern aus, wenn diese nicht ruhig, brav, lieb zu ihr sind. Danielas Kinder erleben eine Mutter, deren Launen unberechenbar sind. Mal dürfen sie nächtelang mit ihr kuscheln, mal sollen sie sich stundenlang in ihr Kinderzimmer verziehen, ohne einen Mucks zu machen. Mal werden sie verwöhnt, mal für Kleinigkeiten hart bestraft. Nicht das Wohl der Kinder steht im Vordergrund, sondern das Wohl der Mutter. Daniela hat es von ihrer eigenen Mutter nicht besser gelernt. Sie weiß es nicht besser. Ihr ist nicht klar, dass sie ihren Kindern Schaden zufügt durch die gefühlsmäßigen Wechselbäder, die sie ihnen bereitet. Es gibt wenig Struktur und Halt, abwesende Väter und eine unstete, überlastete Mutter. Die Kinder müssen viel Verantwortung übernehmen, sowohl für
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