Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
hat.
Isabels Freundin Katja hat sich zum dritten Mal in Folge in einen gebundenen Mann verliebt. Hinter dieser speziellen Partnerwahl steckt die unbewusste Überzeugung: »Du bist es nicht wert, an erster Stelle zu stehen.« In ihren Erwachsenenbeziehungen wiederholt sie ihre Kindheitserfahrungen mit ihren lieblosen Eltern und bestätigt sich ihren Glaubenssatz ein ums andere Mal.
Und Tim stellt sich kurz vor einer Beförderung immer wieder selbst ein Bein. Er gerät in Streit mit seinem Chef, vergisst wichtige Kundentermine oder ist bei entscheidenden Konferenzen schlecht vorbereitet – etwas, was ihm in anderen Zeiten nie passiert. Unbewusst handelt er nach dem väterlichen Auftrag: »Sei erfolgreich, aber nicht erfolgreicher als ich.« Unbewusst scheitert Tim lieber, als in Rivalität mit dem Vater zu gehen und diesen zu kränken.
Isabel, Katja, Tim, Sie und ich – jeder Mensch wird von seiner Familie mit einem Bündel an Botschaften, Aufträgen und Glaubenssätzen ausgestattet. Da wären die einmal festgelegten und mitunter erhöhten Erwartungen, die in einer Familie über Generationen hinweg immer wieder an die Nachkommen übergeben werden. Oder die nicht erfüllten Wünsche und Lebensträume, die die Kinder statt ihrer Vorfahren erfüllen sollen. Da wären die starren Regeln oder Traditionen, die vor ein, zwei Generationen bestimmt sinnvoll waren, heute aber schwierig, überholt und unpassend sind. Die Rollen, die wir infolgedessen einnehmen müssen oder gegen die wir uns unser Leben lang wehren. Neben unpassenden Erwartungen und Regeln gibt es auch selbstwertschädigende Glaubenssätze, die über die Generationen hinweg in Kinder eingepflanzt werden und deren zerstörerischer Samen sich immer weiter trägt. »Jungs sind mehr wert als Mädchen«, »Ein Indianer kennt keinen Schmerz« oder »Du bist dumm/schwierig/hässlich«.
Und dann gibt es auch noch Aufträge, die wir nie erfüllen können, die uns in eine Falle locken. Aufträge, in denen Hü und Hott gefordert wird, die sich widersprechen: Wenn Mama möchte, dass ich unselbstständig bleibe, damit sie sich weiter um mich kümmern kann, während Papa sich wünscht, dass ich in die Welt hinausziehe und berufliche Erfolge feiere. Wenn Papa verlangt, dass wir Mama entwerten, oder die Mutter fordert, den Vater zu belügen. Egal, welcher Stimme das Kind folgt, ein Elternteil muss es unweigerlich enttäuschen.
Schwierig ist auch, wenn die familiären Werte und Aufträge nicht mit der umgebenden Gesellschaft zu vereinbaren sind. Kinder aus sehr religiösen Familien und Kinder aus Migrantenfamilien erleben diese Unvereinbarkeit der Werte häufig und leiden darunter, weil jeder Versuch, sich in das eine oder andere System einzufügen, unweigerlich zu Loyalitätskonflikten und gleichzeitig zu einer Außenseiterrolle führt.
Und noch eine vertrackte Aufgabenstellung, in der ausgesprochene und verdeckte Aufträge sich konterkarieren, lässt sich häufig beobachten: Wenn Menschen sehr streng mit sich selbst sind, kommt es vor, dass ihre Kinder stellvertretend für die Eltern etwas ausleben, was diese sich selbst immer versagen würden: Sex- oder Drogenexperimente, das unstete Vagabundieren in Beziehungen oder im Berufsleben, das Aufbegehren bei Autoritäten, das Infragestellen von Konventionen. In diesen Fällen wird der unausgesprochene Auftrag gegeben: »Leb das aus, was ich mich nicht traue!« Gleichzeitig wird das Kind, wenn es den geheimen Auftrag ausführt, dafür bestraft, denn sein Verhalten passt nicht ins »ordentliche« Leben der Eltern.
»Mein Vater wirkte immer ärgerlich und irgendwie zugleich auch stolz, als er mich ein paarmal von der Polizeiwache abholen musste, weil ich betrunken und total zugekifft war und randaliert hatte«, erinnert sich Björn. »Und interessanterweise haben mich beide seiner Reaktionen angestachelt, weiter Quatsch zu machen. Seine Missbilligung fand ich gut, weil ich ihn ja auch ärgern wollte, und der Stolz in seinen Augen hat mich verwirrt, aber auch gefreut, dass es da etwas gab, was er an mir gut fand oder wovor er Respekt hatte, auch wenn er das nie ausgesprochen hätte. Er selbst war ja immer total angepasst. Vielleicht war er auch froh, dass ich nicht zu früh vernünftig wurde, so wie er.«
Nicht immer können Kinder Doppelbotschaften so gut auseinanderdividieren wie Björn. Nicht immer machen Doppelbotschaften Sinn, und nicht immer werden sie überhaupt als solche erkannt. Wahrgenommen wird beim Empfänger meist
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