Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
Diese reagierte anders, als ihr Enkel befürchtet hatte. Statt traurig oder enttäuscht zu sein, freute sie sich über die Ankündigung, Uroma zu werden. »Wo ist denn dein Problem?«, fragte sie David. »Du bist alt genug, du liebst sie, du wirst Vater. Das sind doch wunderbare Neuigkeiten!«
Als David ihr seine Angst mitteilte, sie zu enttäuschen, schüttelte sie den Kopf: »Damals war damals, und heute ist heute. Dein Großvater und ich haben damals einen großen Fehler gemacht. Heute sehe ich vieles anders. Du und dein Bruder, ihr habt unsere Familie wieder aufgefüllt, so wie es dein Kind jetzt tun wird. Jedes Kind ist ein willkommenes Kind, jedes Kind gibt unserer Familie Zukunft.«
Starke unbewusste Loyalität veranlasste David, nach den alten Regeln seiner Großeltern zu handeln. Da diese Regeln nicht auf ihre Aktualität überprüft wurden, hielt David an der Vergangenheit fest, während seine Großmutter sich längst weiterentwickelt hatte und unausgesprochen für andere Regeln aufgeschlossen war.
Je länger wir unbewusst in familiäre Loyalitäten verwickelt sind, desto schwieriger ist es, sie zu erkennen und aufzulösen, erst recht, wenn es sich um mehrgenerationale Loyalitätsverstrickungen handelt. Die intensive Auseinandersetzung mit unserer Familiengeschichte, mit alten Loyalitätsforderungen und -brüchen wird lebensnotwendig, wenn wir immer wieder Entscheidungen treffen, die uns unglücklich machen. Wenn wir uns schuldig fühlen, ohne genau zu wissen, warum. Wenn sich unser Leben wie eine Einbahnstraße anfühlt und wir allein keinen Ausweg finden.
»Ich bin dagegen« – Wer alles anders macht, ist auch nicht frei
»Reife = Wenn man die richtigen Dinge tut,
obwohl sie von den Eltern empfohlen wurden.«
PAUL WATZLAWICK
Eine andere Form der unbewussten Loyalitätsbindung herrscht, wenn wir alles, für das unsere Eltern stehen, rigoros ablehnen. Wer alles verneint, kann nicht mehr differenzieren. Und dann kommt manches, was wir aus unserem Leben ausschließen wollten, plötzlich wie ein Bumerang zurück.
Im blinden Kampf um die Entwertung unserer Eltern, im absoluten Zurückweisen jedes Auftrags werden wir ihnen manchmal ähnlicher, als uns bewusst ist. Meist wird uns dann von unseren Partnern der Spiegel vorgehalten, wenn sie uns vorwerfen: »Du bist genauso wie deine Mutter/dein Vater.«
Der Pulitzer-Preisträger Richard Russo beschreibt in seinem Roman Diese alte Sehnsucht die schmerzhafte Erkenntnis eines knapp 60-jährigen Mannes, sich trotz aller Bemühungen nicht erfolgreich von seinen Eltern abgelöst zu haben:
»Er hatte erfolglos versucht, seine Eltern auszusperren. Von Anfang an, vom Anfang der Geschichte, vom Anfang der Ehe an hatten sie es trotz all seiner Bemühungen geschafft, sich einzumischen. […] In Truro hatten sie [der Protagonist Griffin und seine Frau Joy, Anm. Sandra Konrad] Pläne für ihr zukünftiges Leben gemacht, basierend auf Vorstellungen, die sie törichterweise für ihre eigenen hielten. Joy hatte gesagt, was sie wollte, während Griffin (und das verriet einiges) gesagt hatte, was er nicht wollte: eine Ehe, die auch nur entfernte Ähnlichkeit mit der seiner Eltern hatte – als wäre diese negative Definition ein eleganter Ersatz für eine positive. Er hatte zwar ihre Werte abgelehnt, aber zugelassen, dass sich viele ihrer Überzeugungen – zum Beispiel die, dass das Glück ein Ort war, den man besuchen, aber niemals besitzen konnte – tief in ihn eingruben. Er verabscheute ihren Snobismus und ungerechtfertigten Dünkel, hatte sich aber das Gedankengebäude, auf dem diese Haltung basierte, zu eigen gemacht. Joys Überzeugung, dass nicht ihre, sondern seine Eltern die eigentlichen Eindringlinge in ihrer Ehe waren, schien auf den ersten Blick lachhaft, doch nun erkannte er, dass sie recht hatte. Sie waren immer noch da.«
Griffins Frau weist ihn klarsichtig auf die Ungereimtheiten seiner Lebenslogik hin und wie sehr er noch an seine Eltern gebunden ist, obwohl er stets das Gegenteil behauptet:
»Ich will damit sagen, dass ›aus den Augen‹ nicht ›aus dem Sinn‹ bedeutet. Du denkst, du schließt deine Mutter aus deinem Leben – aus unserem Leben – aus, aber wenn dir ein Vogel auf den Kopf scheißt, gibst du ihr die Schuld.«
Unsere Eltern sind immer gegenwärtig, auch wenn wir versuchen, sie »auszusperren«. Wir bleiben für immer die Kinder unserer Eltern, und die Prägungen, die wir durch sie erfuhren, sind nicht auszuradieren. Wir bleiben auch
Weitere Kostenlose Bücher