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Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Titel: Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Konrad
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nah zu sein.
    Obwohl sie eigentlich auf der Hand liegt, sieht Henning die Parallele zu seinem Vater nicht. Als ich sie ihm aufdecke, ist er überrascht und beschämt zugleich. Seine Lebensgefährtin Anna hat auf einer Paartherapie bestanden, bevor sie von Henning schwanger wird, aus Angst, er könne auch sie dann verlassen. Henning hält dies für ausgeschlossen. Ich nicht. Deshalb bitte ich ihn, seinen Vater ausfindig zu machen. Ein Vater ist für jedes Kind eine wichtige Identifikationsfigur. Keinen Vater zu haben heißt, sich auszumalen, wie er sein könnte, ob es Ähnlichkeiten gäbe, wie man sich verhalten müsste, um ihm zu gefallen.
    Henning hat Angst, seinen Vater zu suchen. Er weiß, wie er aussieht, weil seine Mutter ihm ein Foto gezeigt hat. Über ihn geredet hat sie kaum. Sie hat die Verletzung, mit einem Kind verlassen zu werden, nur schwer überwunden. Dass Hennings Vater nach der Trennung auch den Kontakt zu seinem Sohn ablehnte, hat sie ihm nie verziehen.
    Hennings Freundin Anna möchte eine Familie mit Henning gründen, aber nicht, solange Henning so unklar in Bezug auf seine Vergangenheit ist. Da wird sie früher als erwartet schwanger. Und Henning zieht prompt aus der gemeinsamen Wohnung aus. Es sei wie ein Zwang, er habe keine andere Wahl, so ein Leben komme für ihn nicht infrage. Anna ist bestürzt, aber sie kämpft um ihn. Sie lässt nicht locker, auch die Paartherapie möchte sie weiterführen, weil sie noch Hoffnung hat, dass Henning sein Verhalten reflektiert und etwas daran ändert. Henning zieht sich zurück, will die Therapie abbrechen. Dann schaltet seine Mutter sich ein. Ihr reicht es, ihren Sohn das Leben des Vaters nachleben zu sehen. Zu viele Kinder leiden unter den beiden verantwortungslosen Vätern, damit müsse nun Schluss sein. Ohne Hennings Wissen kontaktiert sie dessen Vater und bittet ihn um ein gemeinsames Gespräch mit seinem Sohn. Man kann sich vorstellen, welche Überwindung sie dieses Telefonat gekostet haben muss.
    Irgendwann, kurz vor der Geburt seines Kindes, bekommt Henning einen Brief von seinem Vater, der ihn einlädt, ihn zu besuchen. Mit gemischten Gefühlen fliegt Henning zu ihm. Es ist kurz vor Weihnachten, als der Vater ihn in seiner Wohnung empfängt. Es wird ein eigenartiges Gespräch. Die beiden sehen aus wie Vater und Sohn, aber sie sind Fremde. Henning fragt, wie sein Vater Weihnachten verbringen wird. Allein, antwortet dieser. Allein, wie die letzten 20 Jahre. Er sei alt geworden, die Frauen würden nicht mehr auf ihn fliegen. Er habe zwei, vielleicht auch drei Kinder, aber er kenne keines von ihnen. Nur Henning, er sei der Erste, der sich gemeldet habe, der Erste, der sich auf den Weg gemacht habe, seinen alten Vater zu besuchen. »Wieso hast du mich nie besucht?«, fragt Henning seinen Vater. Der Vater winkt ab. Zu viel Verantwortung. Er wollte nie ein Leben mit Kindern. Das sei ihm immer von seinen Frauen so aufgedrängt worden. Hauptsache, ein Kind hat seine Mutter, findet er. Er selbst sei schließlich auch ohne Vater groß geworden.
    Drei Generationen von Männern, die ihre Kinder verlassen. Zwei verletzte Söhne, die ihre Väter vermissen und sich einreden, deren Verhalten sei in Ordnung gewesen. Zwei Männer, die ihre Partnerinnen und Kinder verlassen und mit dieser Entscheidung ihren Vorfahren treuer sind als ihren Nachkommen.
    Henning verabschiedet sich von seinem Vater. Er weint auf dem Rückflug, es dauert eine Weile, bis er das Gefühl von Einsamkeit und Leere abgeschüttelt hat. Er schläft eine Nacht in seiner Wohnung. Am nächsten Morgen ruft er bei mir an. Er wolle seine Vergangenheit aufarbeiten und brauche Unterstützung dafür. Danach ruft er bei Anna an und bittet sie um Verzeihung.
    Henning ist bei der Geburt seines Sohnes dabei. Als er ihn das erste Mal im Arm hält, fühlt er, wie zerbrechlich das neue Leben ist. Er hat Angst vor der Verantwortung, Vater zu sein. Er hat kein Vorbild, keinen genauen Plan. Henning weiß nicht, was ihn erwartet. Aber er weiß, wie er nicht sein will. Er weiß, wie er nicht enden will. An dem Rest muss er hart arbeiten.
    Nicht immer liegen familiäre Loyalitäten so deutlich auf der Hand, und manchmal sind sie das Produkt mehrgenerationaler Entwicklungen. So wie bei David, der von außen betrachtet in einer ähnlichen Lage wie Henning ist, dessen Loyalitätsverstrickung aber weitaus komplexer ist, weil sie sich nicht auf die Eltern-, sondern auf die Großelterngeneration bezieht. David sucht mich

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