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Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Titel: Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Konrad
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Fall von gewalttätigen Familien, süchtigen Familien oder Suizidfamilien. Aber wir übernehmen auch abgewehrte Gefühle unserer Ahnen, die sie nicht ertragen konnten, oder Erfahrungen, die sie nicht bewältigen konnten. Das emotionale Erbe zeigt sich dann mitunter in Symptomen, die nur schwer mit dem Leben der Betroffenen in Zusammenhang gebracht werden können. So wie bei Karl, der die Verlustängste seiner Eltern übernommen hat. Oder bei Tatiana, bei der sich generationenalte familiäre Traumata körperlich manifestierten und die lange Zeit nicht verstand, dass ihr Körper ihr Hinweise gab auf eine generationenalte familiäre Verletzung.
    Trauma
    »Es kommt alles wieder, was nicht bis
zum Ende gelitten und gelöst wird.«
    HERMANN HESSE
    Tatiana hat ein Problem, über das sie mit niemandem sprechen möchte. Sie schämt sich, fühlt sich nicht normal. Nicht einmal mit ihren Partnern kann sie ihr Geheimnis teilen, sie entzieht sich ihnen, wenn es ernster wird. Beziehungen gehen schnell in die Brüche, weil die Männer nicht verstehen, warum Tatiana so abweisend ist.
    Die 23-jährige Tatiana leidet unter Vaginismus, im Volksmund als Scheidenkrampf bekannt. Es ist ihr nicht möglich, Geschlechtsverkehr zu haben, weil sich ihr Scheideneingang aus Angst und Schmerz verschließt. Nacktheit, erregende Zärtlichkeiten, alles, was zu körperlicher, sexueller Nähe führen könnte, wird von ihr deshalb vermieden. Der Kummer über das Auseinanderbrechen ihrer letzten Beziehung ist Auslöser dafür, mich aufzusuchen. »Ich bin nicht normal! Irgendwas stimmt bei mir untenrum nicht«, sagt Tatiana verzweifelt.
    Vorsichtig machen wir uns auf die Suche nach der Ursache ihres Problems, in bewegenden Sitzungen nähern wir uns dem weit zurückliegenden Epizentrum ihres Traumas, das eigentlich nicht ihres ist.
    Tatiana ist in einer liebevollen Familie aufgewachsen, sie hat keine körperlichen Übergriffe erlebt, keine Vergewaltigung, kein traumatisches Erlebnis, das ihr Symptom erklären würde. Doch es gibt jemanden, der etwas Furchtbares erlebt hat: Tatianas Mutter wurde in ihrer Kindheit von ihrem Vater missbraucht. Sie offenbart es ihrer Tochter erst, als Tatiana ihr von ihren Schwierigkeiten erzählt und sie inständig bittet, ihr Informationen über die Familiengeschichte zu geben, die zur Lösung ihres Problems beitragen könnten.
    Tatiana fällt es wie Schuppen von den Augen – wie brüchig der Kontakt zum Großvater war, dass sie nie mit ihm allein sein durfte, die Phasen nach den wenigen Besuchen, in denen sich die Mutter von allen zurückgezogen hatte und ihr sehr traurig erschienen war. »Tief in mir drin wusste ich, dass da etwas nicht stimmte, aber ich hab mich nicht getraut nachzufragen. Das war wie ein ungeschriebenes Gesetz, dass man meine Mutter in Ruhe lassen musste, wenn es ihr schlecht ging.«
    Tatianas Mutter hatte jahrzehntelang geschwiegen, weil sie ihre Tochter, ihr einziges Kind, nicht belasten wollte. Sie wollte Tatiana immer beschützen. Und trotzdem war ihr Trauma in das Leben ihrer Tochter eingedrungen. Ohne davon zu gewusst zu haben, drückt Tatiana unbewusst das familiäre Geheimnis körperlich aus und inszeniert auf diese Weise das Unausgesprochene, das doch Teil der mütterlichen Erfahrungswelt ist. Tatianas Körper reagiert auf den sexuellen Missbrauch, der ihrer Mutter widerfahren ist – er verschließt sich rigoros.
    Tatiana ist entsetzt und leidet für ihre Mutter. Aber das Leid der Mutter hat nun einen Namen bekommen, das Geheimnis ist offengelegt, Tatianas Symptome ergeben einen Sinn. Es gibt einen Täter und zwei Opfer. Tatiana braucht Zeit, um diese Information zu verdauen. Trauer, Wut und Unverständnis wechseln sich ab. Der Großvater wird angeklagt und verurteilt: »So ein Schwein! Seine eigene Tochter zu missbrauchen! Wie kann man seinem eigenen Kind so etwas antun?«, fragt Tatiana betroffen.
    Irgendwann ist sie bereit, die Antwort zu erfahren. Denn es gibt noch mehr Fakten, die die Familiengeschichte prägen und die die Grenzen zwischen Schwarz und Weiß verwischen. Tatiana findet heraus, dass der Anfang des familiären Traumas noch eine Generation weiter zurückliegt, als bisher angenommen: Die Mutter des Großvaters hatte ein Jahr vor dessen Geburt ein Mädchen bekommen, das kurz nach der Geburt starb. Als sie schnell wieder schwanger wurde, hatte sie den Tod ihrer Tochter noch nicht verwunden. Ein neues Mädchen sollte geboren werden und ihr über den Schmerz hinweghelfen. Als

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