Das Blumenorakel
zumute!
Jetzt fuhr die Mutter wieder heim, und später am Tag würde sich Friedrich ebenfalls auf den Weg machen. Wann genau sein Zug nach Bad Ems abfuhr, wusste Flora nicht.
»Komm bald wieder«, drängte sie die Mutter, während sich die beiden in einer innigen Umarmung hin und her wiegten.
Sabine stand mit Alexander auf dem Arm neben ihnen auf dem Bahnsteig. Hannah warf ihrem Enkel einen sehnsüchtigen Blick zu. »Wenns nach mir ginge, jederzeit. Es zerreiÃt mir fast das Herz, mich von dem Kleinen trennen zu müssen.«
»Ich werde dir jede Woche schreiben! Und beim nächsten Besuch bringst du Vater mit. Und Seraphine. Und Valentin natürlich auch. Ach, einfach alle!«, sagte Flora und schniefte.
Flora blieb nicht viel Zeit, sich ihrem Abschiedsschmerz hinzugeben. Kaum war sie zurück im Laden, erschien ein Witwer aus der Nachbarschaft, der mit Hilfe der Blumensprache eine aufdringliche Dame abweisen wollte.
Leider blühe der Gänsefuà noch nicht, sagte Flora bedauernd. Aber sie könne ihm getrocknete Herbstastern anbieten. Zusammen mit dem Blumen-ABC würde die Dame seine Botschaft â nämlich ihr Lebewohl zu sagen â sicher verstehen. Mit einem ganzen Korb voller getrockneter Astern machte sich der Mann wieder auf den Weg.
Sabine, die Alexander zum Stillen hereingebracht und die Szene beobachtet hatte, schüttelte den Kopf.
»Eigentlich sind die Menschen feige. Sie brauchen deine Blumen, um zu sagen, wenn sie etwas stört. Oder was sie freut.«
Flora lachte. »Na und? Wenn alle ihre Gefühle so schön ausdrücken könnten, wie Dichter es tun, wäre ich mit meiner Blumensprache arbeitslos. Und nun gib mir den Kleinen, bevor meine Brüste platzen!«
»GrüÃen Sie bitte die Fürstin von mir!«
»Und Sie vergessen Ihr Versprechen nicht, in Ordnung?«
»Wir werden sehen.« Flora lächelte.
Stirnrunzelnd beobachtete Friedrich, wie seine Frau dem Mann nachwinkte.
»Das war doch dieser Konstantin Sokerov! Was wollte der denn schon wieder? War der nicht erst gestern hier? Und von welchem Versprechen faselt er?«
Als bemerke sie ihn erst jetzt, drehte sich Flora zu Friedrich um. »Er ist ein guter Kunde. Hast du den riesigen NarzissenstrauÃ, den er für die Fürstin gekauft hat, nicht gesehen?« Ihre Augen glänzten, ihre Wangen waren gerötet wie nach einemMarsch durch die frische Märzluft. Wie schön meine Frau ist, durchfuhr es Friedrich plötzlich.
Doch dann rümpfte er die Nase. »Früher hätte man so jemanden un petit jeune homme genannt. Lässt sich von einem alten, kranken Weib aushalten â¦Â« Sein Blick fiel auf einen kleinen Schmetterling aus Porzellan, der am Rande der Ladentheke stand, als wolle er im nächsten Moment davonfliegen. »Was ist denn das?«
»Ãh, den Schmetterling hat Konstantin Sokerov mir als Zeichen seines Dankes überreicht. Weil ich immer so schöne SträuÃe binde.«
»Als Zeichen seines Dankes, so, so â¦Â« Friedrich fand das reichlich übertrieben. Aber was interessierte ihn dieser Mann? Er winkte ab. »Ich bin auf dem Sprung zum Bahnhof und wollte dir adieu sagen und â Flora!« Sie hatte sich so unerwartet an seine Brust geworfen, dass er ein Stück nach hinten taumelte.
»Warum kann ich nicht mitfahren? Seit unserer Reise nach Gönningen waren wir nicht mehr zusammen fort. Dieses Bad Ems würde mir sicher gut gefallen! Und es wäre wunderschön, wenn wir beide endlich wieder einmal allein wären. Nur du und ich â«
»Was redest du denn da? Bei all meinen Terminen hätte ich für dich bestimmt gar keine Zeit.«
»Es gibt auch noch die Abende. Wir könnten zusammen essen gehen und â¦Â« Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich habe einfach das Gefühl, dass es nicht gut ist, wenn du fortfährst und ich allein hierbleibe. Der Gedanke macht mir beinahe Angst.«
»Ach Flora â¦Â« Sanft schob er sie von sich weg. »Ich hätte dich auch gern an meiner Seite. Aber was wäre dann mit Alexander? Und mit dem Laden? Soll Mutter sich etwa um alles kümmern? Das schafft sie doch nicht â¦Â« Friedrich zückte seufzend seine Taschenuhr.
Er war spät dran. In knapp einer Stunde ging sein Zug. Auch musste er zusehen, dass er seinen Besuch im sogenannten »Kaiserbad« so schnell wie möglich hinter
Weitere Kostenlose Bücher