Das Blumenorakel
blühenden Mandelbaumes gereckt, hielt sie inne. »Wie schön, dass die Fürstin sich gefreut hat. Manche Leute reagieren pikiert, weil Narzissen in der Blumensprache für Ichbezogenheit stehen.«
Konstantin winkte ab. »Manchmal frage ich mich, was sie von all dem überhaupt noch mitbekommt. Sie lebt fast nur noch in der Vergangenheit. Ach Flora, wenn ich Sie nicht hätte, ich glaube, ich wäre inzwischen auch schon verrückt geworden!« Und das war kein leichtfertiges Kompliment, sondern es entsprach der Wahrheit, ging es ihm unvermittelt durch den Kopf, und er erschrak bei dem Gedanken. Er war doch hoffentlich nicht dabei, sich in das Mädchen zu verlieben? AusschlieÃlich körperliche Gelüste konnten es nicht sein, die ihn immer wieder zu ihr in den Laden trieben, denn ihre Zusammentreffen verliefen jedes Mal äuÃerst züchtig. Auch litt er in dieser Hinsicht keine groÃe Not. Fast immer fand sich irgendwo ein Zimmermädchen, das bereit war, sich ihm in einer dunklen Ecke hinzugeben.
»Ich frage mich zwar, was an einem Spaziergang durch nasse Wiesen aufregend sein soll, aber wenn ich Ihnen damit ein wenig die Langeweile vertreiben kann, freut mich das natürlich!« Sie legte ihm ein weiteres Bündel blühender Zweige in den Arm, dann steckte sie die Schere weg und ging in die Hocke.
»Irgendwie ist es seltsam«, murmelte sie vor sich hin. »Wo immer Schlüsselblumen zu finden sind, ist auch das Wiesenschaumkraut nicht weit. Dafür suchen Gänseblümchen gern die Gesellschaft von Veilchen und Vergissmeinnicht. Das WeiÃ, das Lila und dazu das schöne Blau â in der Natur wächst alles in vollkommener Harmonie!« Den Kopf schräg gelegt, die Augenmit einer Hand gegen die Morgensonne abgeschirmt, schaute sie Konstantin an. »Und dann komme ich daher und bringe alles durcheinander.«
Vehement schüttelte er den Kopf. »Das stimmt doch gar nicht. Ihre SträuÃe zeugen ebenfalls stets von vollendeter Harmonie.« Statt auf sein Kompliment zu reagieren, räusperte sie sich. »Konstantin, was ich Ihnen noch sagen wollte ⦠Ich freue mich über jeden Ihrer Besuche im Laden. Aber Sie dürfen mich nicht noch einmal zum Blumenpflücken begleiten. Und Sie dürfen mir auch nichts mehr schenken. Ich weià ja, dass Sie es nur gut meinen, aber ich bin eine verheiratete Frau, und die Leute reimen sich schnell alles Mögliche zusammen. Verstehen Sie?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das verstehe ich nicht. Wir gehen doch nur zusammen spazieren, daran ist nichts Anrüchiges!« Leider, fügte er im Stillen hinzu. Er blieb stehen, hielt sie am Ãrmel fest, hob ihr Kinn so an, dass sie ihm in die Augen sehen musste. »Flora, liebes Blumenmädchen, jetzt seien Sie doch nicht so schrecklich streng! GenieÃen Sie viel lieber den Augenblick â¦Â«
»GenieÃen ⦠Darum geht es doch nicht!«, erwiderte sie barsch. »Es geht darum, dass man sein Tagwerk schafft. Dass man seinen Pflichten nachkommt und die anderen sich auf einen verlassen können. Oder etwa nicht?«, sagte sie und zog eine Schnute.
Konstantin lieà Zweige, Blumenbüschel und seine Vorsätze bezüglich verheirateter Frauen fallen.
Er nahm Flora in den Arm und küsste sie. Küsste sie, immer und immer wieder.
46 . K APITEL
K aum war Friedrich aus Bad Ems zurück, hatte er von früh bis spät in der Trinkhalle zu tun. Die unterste Treppenstufe bröckelte an einer Seite ab und musste ersetzt, der Boden an manchen Stellen ausgebessert werden und an einer Stelle war das Dach undicht â Aufgaben, die er normalerweise viel früher im Jahr erledigte.
Friedrich hatte den Besen, mit dem er Spinnweben von den Wänden kehrte, noch in der Hand, als schon die ersten Kurgäste die Kieswege entlangflanierten. Dabei musste an manchen Stellen der grau gewordene Kies erst noch durch jungfräulich weiÃen ersetzt werden.
Was alle gehofft, woran nach der SchlieÃung des Spielcasinos aber kaum jemand geglaubt hatte, traf ein: Die StraÃen füllten sich, die Saison 1873 begann.
Einerseits schien alles beim Alten geblieben zu sein. Doch andererseits war alles ganz anders.
Hektisch blätterte Flora durch das Badeblatt. »Jetzt ist schon Mitte Mai und noch immer suche ich in den Gästelisten vergeblich nach vielen bekannten Namen. Wo bleiben meine Kunden nur?«
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