Das Blumenorakel
Kreuz genagelt â braucht es einen gröÃeren Beweis dafür, dass diese Tage unheilvoll sind?«
Ein schwaches Lächeln kroch über Püppis Gesicht, als sie sich an die gefalteten Hände der Mutter erinnerte. Sie hatte gern gebetet, oft, lange und an jedem nur erdenklichen Platz. Doch es hatte ihr am Ende nicht viel genutzt: Zusammen mit ihrem Mann, Püppis Vater, war sie bei einem Anschlag auf ihr einsam gelegenes Sommerpalais ermordet worden. Püppi und ihre Geschwister waren zu der Zeit zu Besuch in Zarskoje Selo gewesen. Der Tag der Ermordung war der erste April, jener Tag, an dem einst Judas geboren wurde â ebenfalls ein Schwendtag, wie Püppi sehr viel später herausgefunden hatte.
Ausgerechnet heute wollte sich Elena verloben. Dabei war ein Schwendtag doch vielmehr dazu da, Abschied zu nehmen!
Püppis Blick fiel auf den BlumenstrauÃ, von dem im Laufe der Nacht immer mehr Blütenblätter abgefallen waren. Von so vielem hatte sie sich im Laufe ihres langen Lebens schon verabschieden müssen â¦
Zuerst waren es die Eltern gewesen, dann ihre Söhne. Beide waren im Krieg umgekommen. Dann hatte Stepan sie verlassen, dabei war er kein schlechter Ehemann gewesen! Auch ihre Jugend hatte sich so heimlich davongeschlichen, dass Püppi sich nicht einmal gebührend von ihr hatte verabschieden können. Dann war die Schönheit an der Reihe gewesen â langsam, Tag für Tag, Jahr für Jahr war sie immer weiter in den Hintergrund getreten. Und nun, als Letztes, hatte sie auch noch ihre Gesundheit verloren.
Vergeblich versuchte Püppi, tief Luft zu holen, um den beklemmenden Ring um ihre Brust zu sprengen. Sie tappte wiederzurück ins Zimmer. Sie war sich nicht sicher, ob die vielen Bäder in dem schrecklich heiÃen Wasser ihr wirklich so guttaten, wie Konstantin glaubte. Vielmehr hatte sie das Gefühl, dadurch noch mehr geschwächt zu werden. Aber tagtäglich bestand er auf diese »Anwendungen« im Hotel Marie-Eluise. Warum lieà sie sich immer wieder von ihm dazu überreden?
Ach, wenn sie nur nicht so unsäglich müde wäre.
Klammheimlich hatte sich irgendwann auch ihre Feierlaune verabschiedet â Püppi wollte keine Nächte mehr durchfeiern, so wie sie es jahrzehntelang getan hatte. Lieber war sie allein, so wie jetzt.
Mühevoll drehte sie die Uhr ein wenig, damit der Schein der Kerze das perlmuttfarbene Zifferblatt beleuchtete.
Fünfzehn Minuten nach drei. Bestimmt würde Konstantin nun bald von seinem Kartenspiel heimkehren. Sie würde ihn bitten, sie am späten Vormittag zu Sophia zu bringen â eventuell lieà sich die für den Abend angesetzte Verlobungsfeier ja noch verschieben!
»Du und dein Aberglaube«, hörte sie Konstantin im Geist schon jetzt spotten. »Am besten bleibst du im Hotel und ruhst dich aus, eine Feier bei den Markows wäre eh zu anstrengend für dich«, würde er sagen und allein losziehen. Und sie würde dazu nicken.
Das perlmuttfarbene Zifferblatt zeigte achtzehn Minuten nach drei.
DrauÃen war es noch dunkel.
Püppi fielen die Augen zu.
Flora hatte das ganze Haus geschmückt: Rund um die Bronzestatue, die neben dem Eingang der Villa Markow die Besucher begrüÃte, stand ein Dutzend riesiger Blumentöpfe. Im Haus wurden die Besucher von einem Meer aus Blumen empfangen: Das Geländer der Treppe in den ersten Stock, die Treppe selbst, das groÃe Porträt an der Wand, das Hausherr und Hausherrin zeigte â alles hatte Flora mit Blüten geschmückt. Die Tafel, aufder sich geschliffene Gläser und Dutzende auf Eis gelegte Champagnerflaschen befanden, hatte sie mit einer bestickten Decke belegt, im Zentrum des Tisches prangte eine riesige Porzellan-Jardiniere, aus der ebenfalls Blumen quollen.
Obwohl ihre Hände zerstochen waren von der beschwerlichen Arbeit an den widerspenstigen Girlanden und den riesigen Gebinden, war Flora mit ihrem Werk zufrieden. Ein Besucher würde Stunden benötigen, wollte er jede einzelne Blüte entdecken!
Noch war die Familie samt allen Gästen auf einem Spaziergang in der Lichtenthaler Allee. Bis die ersten erschienen, hatte Flora nichts zu tun. Später würde sie beim Ausschank der Getränke helfen, falls die Fürstin dies wünschte.
Flora trat durch die hintere Tür in den parkähnlichen Garten. Eigentlich hätte man den Champagner auch gut hier
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