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Das Blumenorakel

Das Blumenorakel

Titel: Das Blumenorakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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so schnell wie möglich ihren Strauß in der Hirschstraße abliefern und dann allein sein. Bis jetzt war es ihr gelungen, jeden Gedanken in ihrem Kopf zu unterdrücken. Sie wusste nicht, wie lange dies noch möglich war. Und was dann geschehen würde.
    Nicht denken. Nicht fühlen. Nicht denken. Nicht fühlen.
    Normalerweise hätte sich Flora auf einen Besuch bei der Familie Mallebrein gefreut. Meist wurde sie von Marie Mallebrein begrüßt und auf eine Tasse Kaffee eingeladen. Nach ein wenig Klatsch und Tratsch wurden dann Floras Sträuße stets mit vielen »Ahs« und »Ohs« gewürdigt. Manchmal bekam Flora sogar den Oberamtsrichter höchstpersönlich zu Gesicht. Franz Mallebrein war ein sympathischer Mann, der nicht nur klug daherredete, sondern eine menschliche Wärme ausstrahlte, die Flora bei einem Mann seines Berufsstandes nicht vermutet hätte. Er schätze die schönen Künste mindestens so sehr wie die Rechtswissenschaften, vertraute er Flora einmal an, als sie Blumen für eine Geburtstagsfeier lieferte. Das bisschen freie Zeit, das ihm sein Beruf und seine immer größer werdende Familie ließen, nutzte er, um in die Sagenwelt von Baden-Baden einzutauchen. Er schrieb Gedichte und kleine Geschichten – einmal hatte er Flora sogar ein paar seiner Verse vorgetragen. Als sie Friedrich davon erzählte, hatte er ziemlich neidisch dreingeschaut.
    Doch an diesem Montagmorgen war Flora froh, dass außer dem Dienstmädchen niemand zu Hause zu sein schien. Bestimmt war die Hausfrau auf dem Markt und die Kinder zum Spielen auf der Gasse.
    Flora war erleichtert. Klatsch und Tratsch waren im Moment das Letzte, wonach ihr der Sinn stand.
    Â»Hier sind die Sommerblumen für die gnädige Frau«, sagte sie und drückte dem Dienstmädchen den Strauß in die Hand. »Und hier ist die Rechnung. Frau Mallebrein kann gern –«Abrupt brach Flora ab, als rechts von ihr eine Tür aufgerissen wurde.
    Â»Das Blumenmädchen! Habe ich doch richtig gehört …« Mit glühenden Wangen und einem Zettel in der Hand stand der Amtsrichter vor ihr. »Was für ein wunderschöner Strauß! Sie sind wahrhaftig eine Künstlerin.«
    Flora machte einen kleinen Knicks. »Herr Mallebrein, Sie sind zu freundlich …«
    Der Richter trat einen Schritt auf sie zu und zeigte auf das Blatt Papier in seiner Hand. »Da fällt mir ein, Sie haben doch neulich so gern meinen kleinen Versen gelauscht. Das hier sind meine neuesten Versuche, wollen Sie sie hören?«
    Flora blieb nichts anderes übrig, als zu nicken.
    Â»Kennen Sie die Sage von Merline, der Nixe vom Wildsee? Ich habe versucht, sie in Versform zu bringen! Bitte hören Sie sich das einmal an:
    Hoch oben am wilden See,
    dort lagert die Nixe im Moose,
    die goldene Leier im Schoße,
    und spielet mit ihrem Reh.

    O Mutter, lass mich zu ihr!
    Ich will ihr ja nimmermehr trauen,
    von ferne nur will ich sie schauen,
    doch länger nicht trag ichs hier …«
    Flora taumelte einen Schritt zurück, als habe sie eine Ohrfeige mitten ins Gesicht bekommen. Merline, die Nixe! Die Verführung in Person, ausgerechnet heute …
    Wie ein in die Enge getriebenes Reh presste sie ihren Rücken an die Holzvertäfelung des Treppenhauses.
    Der Richter schien ihr Aufseufzen als Zeichen von Ergriffenheit oder Ähnlichem zu deuten. Mit noch mehr Pathos in der Stimme fuhr er fort:
    Â»Er zaudert noch hinzugehen;
    Doch ist er so leicht zu betören,
    nur sie all sein Sehen und Hören;
    lieb Mutter, umsonst dein Flehn.

    Jetzt ist er im tiefen Grund;
    Sie schlinget um ihn ihre Arme,
    es wird ihm auf einmal so warme,
    es glühet so heiß ihr Mund.

    Wo führt sie den Knaben hin?
    Sie hat ihn hinuntergezogen,
    es schließen sich drüber die Wogen,
    da war es geschehen um ihn.«
    Der Richter ließ das Blatt sinken. »Wie finden Sie das?«
    Flora spürte den erwartungsvollen Blick des Mannes. Sag was! Irgendetwas Freundliches, Belangloses wird dir ja wohl über die Lippen kommen. Und heul bloß nicht los!, versuchte sie sich innerlich zur Ordnung zu rufen.
    Er zaudert noch hinzugehen – die Worte des Richters hämmerten stumm in ihrem Ohr. Zaudern – was war das? Sie hatte nicht gezaudert, keine Minute lang!
    Doch ist er so leicht zu betören  – ha, damit konnte sie schon eher etwas anfangen. Leicht zu betören?

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