Das Blumenorakel
dem Conversationshaus standen. Ein Kellner kam, und die Engländerin bestellte Tee und Brandy für sie beide. Friedrich lieà sie gewähren.
Kaum hatte sich der Kellner zurückgezogen, da hob Lady Lucretia erneut an. »Was denken Sie eigentlich? Dass Sie der einzige Mann auf der Welt sind, dem die Frau weggelaufen ist? Glauben Sie mir, das kommt leider viel zu häufig vor. Ich bin schon alt, aber ich habe auch eine groÃe Lebenserfahrung, und so viel kann ich Ihnen sagen: Wenn es in einer Ehe zu solch einem Zerwürfnis kommt, ist nie einer allein schuld daran!«
Friedrich lachte barsch auf. »Jetzt hören Sie sich schon an wiemeine Mutter. In ihren Augen hätte ich Flora vor dem Ganoven retten sollen! Sie tut gerade so, als ob er der Gehörnte persönlich und Flora ihm hilflos ausgeliefert ist. Doch so, wie ich sie damals im Forellenhof gesehen habe, wirkte sie alles andere als hilflos!« Er rückte seinen Stuhl nach hinten, um aufzustehen, aber Lady Lucretia packte ihn am Handgelenk.
»Jetzt reiÃen Sie sich zusammen! Ich habe Ihnen nichts getan, es besteht kein Grund, mich derartig anzufahren. Ich bin Ihnen wohlgesinnt, ich will Ihnen nichts Böses. Also setzen Sie sich.« Ruckartig lieà sie seine Hand wieder los.
Friedrich biss sich auf die Unterlippe. »Entschuldigen Sie ⦠Ich weià nicht, was in mich gefahren ist.« Am Morgen der Streit mit der Mutter, jetzt das. Er verstand es derzeit wirklich nicht, sich Freunde zu machen.
Lady OâDonegal hielt ihm das Brandyglas entgegen. »Trinken wir erst einmal. Cheers !«
Die rotgoldene Flüssigkeit rann warm und angenehm Friedrichs Kehle und dann in seinen Bauch hinab. Zerknirscht schaute er die Engländerin an. »Manchmal kenne ich mich selbst nicht mehr. Die Sache mit Flora â ich fühle mich, als habe mir jemand den Boden unter den FüÃen weggerissen. Ich kann im Grunde immer noch nicht fassen, was geschehen ist. Wir waren doch so glücklich! Sie mit ihren Blumen und ich â¦Â« Er zeigte vage in Richtung Trinkhalle. »Und als dann Alexander geboren wurde, war mein Glück vollkommen. Wo ist uns nur ein Fehler unterlaufen?« Ein verzweifelter Schluchzer entrang sich seiner Brust. Die Engländerin machte sich an der Teekanne zu schaffen.
Himmel noch mal â was war nur in ihn gefahren? Eine wildfremde Frau mit seinem Jammer zu belästigen! So peinlich Friedrich seine Indiskretionen waren, so konnte er sie doch nicht aufhalten. Schon sprudelte es weiter aus ihm heraus. »Tausendmal habe ich mir dieselben Fragen gestellt: Wann ist in unserer Ehe etwas schiefgegangen? Warum habe ich nichts gemerkt? Ich hätte doch was merken müssen, oder? Ich meine, Flora ist doch nicht von Natur aus eine durchtriebene Lügnerin. Bestimmt gabes genug Anzeichen für ihr Tun, aber ich habe sie nicht gesehen. Meiner Mutter erging es ja nicht anders, auch sie hatte nicht die geringste Ahnung, nicht einmal, als â« Er winkte ab. Jetzt war es wirklich genug. Was für einen Sinn hatte es, Lady Lucretia auch noch von Sybilles Brief an die Mutter zu erzählen?
Lady OâDonegal zuckte mit den Schultern. »Wenn es um einen selbst oder um die eigene Familie geht, ist man meistens blind. Die Fehler der anderen erkennt man dafür umso leichter.«
Friedrich horchte auf. War Lady Lucretia etwa auch schon derartig hintergangen worden?
Er fuchtelte mit der Hand über dem Tisch herum. »Was rede ich nur für dummes Zeug? Wie komme ich überhaupt dazu, die Schuld bei mir zu suchen? Ich habe gewiss keine Fehler gemacht!«
Die ältere Frau seufzte. »Man muss nicht unbedingt Fehler machen, um ein Unglück heraufzubeschwören. Manchmal genügt es, gar nichts zu tun, oder anders gesagt â etwas zu unterlassen!«
»Was sollte ich unterlassen haben? Ach, das ganze Gerede hat doch keinen Sinn. Ich bleibe dabei, Flora ist eine Ehebrecherin! Sie ist die Mutter, die ihren Sohn verlassen hat.« Angewidert schaute Friedrich auf den Tee, den die Engländerin ihm eingeschenkt hatte. Ein weiterer Brandy wäre ihm lieber gewesen.
Lady Lucretia schaute ihn schräg an. »Moment mal, haben Sie nicht gesagt, dass Sie Ihre Frau aus dem Haus geworfen haben?«
Wütend funkelte Friedrich sie an. »Na und? Was macht das für einen Unterschied? Damit hat sie doch rechnen müssen! Hätte ich ihr die Sache etwa verzeihen
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