Das Blumenorakel
sagen ⦠also ich â¦Â«
»Dumm?« Flora lachte rau. »Glauben Sie, ich habe dasselbe nicht auch schon ein Dutzend Mal gedacht? Der Gedanke, gehen zu müssen, bricht mir fast das Herz!«
»Mir geht es auch so, ein Leben ohne Sie kann und will ich mir gar nicht mehr vorstellen!«, hatte Friedrich laut rufen wollen, doch stattdessen lahm gesagt: »Es ist ja nicht so, dass Sie für immer weg sind. SchlieÃlich kommen Sie bald wieder in unsere schöne Stadt. Als Samenhändlerin â¦Â«
Wütend auf sich selbst, schlug er die Schranktür zu. Als ob das dasselbe wäre! Er wollte Flora nicht als flüchtige Bekannte in Erinnerung behalten, er wollte sie lieben dürfen.
Für immer und ewig, in guten wie in schlechten Zeiten.
21 . K APITEL
G edankenverloren schaute Fürstin Irina Komatschova aus dem Fenster ihrer Suite des Hotels Stéphanie.
Noch drei Tage, dann war der August auch vorbei. Wie die Zeit dahinraste â schneller als die Pferde auf der Rennbahn!
Nach den ersten kühleren Nächten begannen sich die Blätter der riesigen Kastanienbäume langsam vom Grünen ins Gelbe zu verfärben. Hie und da segelte sogar schon ein vereinzeltes Blatt auf den Boden. In der Nacht hatte es geregnet. Die kleinen Tischchen der Hotelterrasse waren verwaist, bestimmt würde der Wirt sie nicht eindecken. An einem solchen Morgen zogen die Gäste es vor, ihr Frühstück im Warmen einzunehmen. Irina hingegen stand der Sinn weder nach einem Omelett noch nach etwas anderem.
Ach, wie hasste sie diese Tage, die nicht mehr zum Sommer, aber auch noch nicht ganz zum Herbst gehörten! Sie verbreiteten eine seltsame Art von Melancholie, die ihr nicht guttat. Irina schüttelte sich wie ein Vogel, der sein Federkleid von Wassertropfen befreien will.
Mit ihren 53 Jahren war die Fürstin noch immer eine attraktive Frau. Klug und mutig war sie obendrein â hätte sie sich sonst als einfaches Mädchen vom Land einst den groÃen Nikolajev Komatschov angeln können?
Zugegeben, die Ehe war lieblos gewesen. Als feststand, dass sie ihrem Mann keine Kinder schenken konnte, hatte er rasch das Interesse an ihr verloren. Zärtlichkeiten? Komplimente? Beides hatte sie höchstens von anderen Männern erhalten.
Das Leben an Nikolajevs Seite hatte sie hart gemacht. Es gab nur wenig, was Irina wirklich Angst einzujagen vermochte. Und wenn es doch geschah, wusste sie sich zu wehren. Ihr Reichtum half natürlich. Seit Nikolajev vor fünf Jahren das Zeitliche gesegnet und ihr die halbe Krim vererbt hatte, zählte sie zu denreichsten Frauen Russlands â wenigstens im Tod war er groÃzügig gewesen.
Reichtum gab Sicherheit. Geld war gut gegen Angst. Und trotzdem.
Wenn nur nicht das ewige Gerede von etwaigen Aufständen in ihrer Heimat gewesen wäre! Von wild gewordenen Leibeigenen, von Bauern, die, statt ihren Dienst zu tun, nach mehr Geld und Rechten verlangten â hatte man so etwas schon gehört?
Täglich ging Irina mehrmals zu ihrem Postfach im Hotel, jedes Mal blätterte sie die Briefe, Karten und Billetts mit angehaltenem Atem durch. Entspannen konnte sie sich erst, wenn keine schlechten Nachrichten aus der Heimat dabei waren. Wenn es weder in ihren Edelsteinminen zu Feuersbrünsten noch auf ihren Landgütern zu wilden Aufständen gekommen war.
Was, wenn der unendlich scheinende Geldfluss eines Tages versiegen würde? Davor hatte Irina Angst. Angst, auf ihre alten Tage wieder in jene Armut zu fallen, die sie aus Kindertagen nur allzu gut kannte.
Wie betäubt starrte Irina auf den Stapel Rechnungen, der sich vor ihr auf dem Tischchen türmte. Es waren so viele! Dabei war die Saison noch nicht zu Ende.
Etliches war läppischer Kleinkram â Rechnungen für dieses und jenes Restaurant, den Frisör, für die Confiserie mit den herrlichen Pralinés. Eine fleckige Rechnung für die Kutsche, die sie für die ganze Saison gemietet hatte. Nun wollte der Mann, ein Bauer mit feistem Grinsen, eine Art Abschlagszahlung!
»Paschol k tschörtu!« Sollte er sich doch zum Teufel scheren! Irina schnaubte. Er würde sein Geld erst Anfang Oktober bekommen und wenn er sich auf die Hinterbeine stellte wie seine zwei Zossen.
Irina erschrak, als sie sah, wie viel Geld sie in dieser Saison für Ausflüge, die Kostia und sie in den Schwarzwald unternommen hatten, ausgegeben hatte. Und dann
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