Das Blumenorakel
»Die Arme! Bestimmt ist sie nun untröstlich, dass ihre Liebe doch nicht erwidert wird â¦Â«
» Ihre Liebe ? Ach was, Flora tut so, als würde sie das alles nichts angehen! Als ich sie vor ein paar Tagen fragte, ob der junge Herr sie schon geküsst hat, ist sie mir fast an die Gurgel gegangen. Und wenn du denkst, sie würde sich besonders anstrengen, um ihn für sich zu gewinnen, dann täuschst du dich. Sie ist kein bisschen kokett, ja, sie richtet sich nicht einmal besonders hübsch her, wenn der junge Herr sie ausführt. Mir steckt sie die Haare wunderhübsch auf, wann immer ich mich mit Moritz treffe, aber bei ihren eigenen Haaren gibt sie sich kaum Mühe.«
Wie erwartet teilte Minka Sabines Missbilligung. »Also ich würde dem Burschen von früh bis spät schöne Augen machen, so viel steht fest. So lange, bis er gar nicht mehr anders kann, als sich in mich zu verlieben.«
»Aber wenn Friedrich Sonnenschein es wirklich ernst mit Flora meinen würde, müsste er sie doch ein wenig hofieren, oder? Ihr einmal ein kleines Geschenk machen, so wie der Moritz mir! Schau, diese Seidenblume hat er aus Stoffresten für mich zusammengenäht.« Stolz streckte Sabine ihre Brust nach vorn, auf der eine Blüte aus kariertem Hemdenstoff prangte.
Nachdem Minka diese gebührend bewundert hatte, fuhr Sabine mit ihrer Litanei fort. »Flora hingegen hat von Friedrich noch nie was bekommen. Wenn er mit ihr ausgeht, dann spazieren sie lediglich durch die Stadt. Oder sie hocken hinten im Garten. Flora sagte gestern erst, sie würde inzwischen jeden Grashalm mit Namen begrüÃen können. Wenns nach ihr ginge, könnte der gnädige Herr sie wenigstens mal auf ein Glas Wein einladen. Oder zum Tanzen. Und ins Spielcasino will sie auch noch unbedingt, bevor sie wieder heimfährt.«
»Ins Spielcasino?«, fragte Sabines Freundin ungläubig nach. »Und tanzen gehen? Ja, ist sie denn übergeschnappt? Das ist doch nur was für feine Leute!«
»Ach, vor den feinen Leuten hat Flora keine Angst. Vor einpaar Wochen hat sie sich sogar mit den hochnäsigen Weibern vom Maison Kuttner angelegt. Die haben wohl ganz schön dumm aus der Wäsche geguckt.«
Minka kicherte. »Das macht mir deine Flora sehr sympathisch. Die würde ich zu gern kennenlernen. Warum bringst du sie nicht einfach mal mit?«
Sabine winkte ab. »Ich hab sie gefragt, ob sie heute Abend mitkommen will. Aber sie hatte andere Pläne. Sie hat nämlich eine fixe Idee â sie will vornehmere Kundschaft für den Laden gewinnen!«
Die beiden Freundinnen lachten ob dieser Verrücktheit laut auf.
»Stell dir vor, derzeit besucht Flora einen vornehmen Laden nach dem anderen, auch heute Abend ist sie wieder losgezogen. In der Parfümerie war sie schon, beim Handschuhmacher und sogar im Hutladen neben dem Palais Hamilton. Dabei weià doch jeder, dass dessen Verkäufer sich für etwas Besseres halten, nur weil sie in einem teuren Geschäft arbeiten.«
Minka nickte. »Die jagen einen ja schon weg, wenn man nur einen Moment zu lange ins Fenster schaut. Sag, wie kann sich Flora all die teuren Läden leisten? Hat sie etwa einen Goldesel, der für sie Dukaten scheiÃt?«
»Ach was, die kauft doch nichts. Sie will nur gucken, wie andere Geschäftsleute es mit der Kundschaft halten, sagt sie. Daraus will sie dann irgendetwas für den Blumenladen lernen.« Sabine zuckte mit den Schultern. »So ist das halt bei Flora â egal was sie tut, irgendwie hat sie dabei immer nur das Geschäft im Sinn.«
»Dann braucht sie sich auch nicht zu wundern, wenn das mit dem Ehemann nichts wird«, Minka sprach aus, was Sabine ebenfalls schon durch den Kopf gegangen war.
»Seltsam, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Flora in ein paar Wochen nicht mehr hier ist.« Mit einem lauten Rascheln lieà Kuno seine Zeitung sinken.
»Ich auch nicht, irgendwie hat man sich sehr an das Mädchen gewöhnt«, bestätigte Ernestine, ohne von ihrer Stickarbeit aufzuschauen. Solange es in der guten Stube noch hell genug war, wollte sie die Zeit für ihre Handarbeit nutzen. Kritisch beäugte sie das Körbchen mit den Stickgarnen â sollte sie die nächste Ranke in hellem oder mittlerem Grün sticken?
»Heute Vormittag hat Schierstiefel mich zu einem Frühschoppen überredet. âºDein Laden ist doch bei Flora in
Weitere Kostenlose Bücher