Das Blumenorakel
sie aus der Küche und kam kurze Zeit später mit einer groÃen ledernen Geldkatze zurück.
Nachdem Flora Sabine ein paar Münzen für die Haushaltskasse gegeben hatte, trat diese etwas froher gestimmt wieder an den Herd und pikste probeweise in eine Kartoffel.
»Immer diese verflixten Geldsorgen! Einen Goldesel müsste man haben. Oder in der Spielbank eine Million Goldmark gewinnen. Dann würde ich täglich ein Hühnchen für euch braten und Schinken und feine Pasteten noch dazu und nicht immer nur Rüben und Kartoffeln.« Seufzend legte sie den Deckel wieder auf den Topf.
Statt zu antworten, starrte Flora gedankenverloren auf ihre Geldkatze.
»Das Spielcasino ⦠Einen Versuch wäre es sicher wert.«
»Bist du völlig verrückt geworden? Himmel noch mal, Flora, ich hab doch nur einen Scherz gemacht! Bitte sag, dass du nicht allen Ernstes daran denkst, dein gutes Geld â« Sabine brach abrupt ab, als sie Floras Blick sah. Dieses Funkeln kannte sie nur zu gut. Es blitzte immer dann auf, wenn sich Flora etwas in den Kopf gesetzt hatte und nicht mehr davon abzubringen war.
Einen Hut von Ernestine auf dem Kopf, die Krempe tief in die Stirn gezogen, Ernestines schwarzen Umhang übergeworfen, eilte Flora durch die Gassen in Richtung Casino, die Geldkatze fest im Griff.
Sie hatte nur zwei Stunden Zeit â wenn es ihr gelang, bis zum Abendessen wieder zu Hause zu sein, würde Friedrich nicht einmal merken, dass sie das Haus verlassen hatte.
Unter niedergeschlagenen Lidern linste sie die StraÃe entlang. Das Wetter war schlecht, die meisten Leute blieben in ihren Häusern. Nur Sabines Freund, der Schlachter Semmel, trug gerade einen Eimer über den Hof. Zwei StraÃenköter hüpftenan ihm hoch. Hoffentlich erkennt er mich nicht, dachte Flora bang.
In dem Moment schaute der Mann zu ihr herüber. Er grüÃte sie kurz, dann wandte er sich wieder den aufdringlichen Hunden zu.
Hatte er sie nun erkannt? Hoffentlich nicht.
Zwei Stunden Zeit. Danach war sie entweder eine wohlhabende Frau und ihre Sorgen los. Oder â
Zwei Stunden Zeit, um im Spielcasino »den groÃen Wurf« zu landen. Es würde ihr ja schon genügen, ihr Geld zu verdoppeln! Einen Teil davon würde sie natürlich Sabine geben. Und von dem Rest wollte sie richtig schöne Blumen kaufen.
Das Conversationshaus kam in Sicht und Floras Tagträume lösten sich in der winterlichen Luft auf.
Zwei Stunden Zeit â dabei hatte sie in ihrem ganzen Leben das Spielcasino noch nicht einmal von innen gesehen.
Ihren ganzen Mut zusammennehmend, drückte Flora die Tür zum Spielsaal auf.
Eine Zeit lang tappte sie ziellos durch den in Zigarrenqualm gehüllten Raum. Es waren höchstens zwei Dutzend Gäste da, vornehmlich ältere Herren, dazu ein paar Damen, die Sekt tranken und sich mit Fächern Luft zuwedelten.
Erleichtert, nirgendwo ein bekanntes Gesicht zu sehen, postierte sich Flora hinter einem der Roulettetische. Das Spiel erschien ihr nicht allzu kompliziert â noch während die Spieler damit beschäftigt waren, ihre Jetons zu setzen, brachte der Croupier die Roulettescheibe in Bewegung. Dann warf er eine Kugel gegen die Drehrichtung auf die Scheibe. » Rien ne va plus! «, rief er in die Runde und alle Gäste rings um den Tisch schienen den Atem anzuhalten. Die Kugel rollte und rollte, holperte und polterte für ein Weilchen. Erst nachdem sie in einem der Fächer zum Stillstand gekommen war, nannte der Croupier laut die Gewinnzahl und deren Farbe.
Nachdem Flora eine Weile zugeschaut hatte, beschloss sie,hier ihr Glück zu versuchen. Im Voraus die richtige Zahl zu erahnen erschien ihr zwar als extrem groÃes Risiko, aber auf eine Farbe zu setzen, traute sie sich zu.
Rot waren die schönsten Tulpen aus Gönningen, rot waren Rosen, rot war auch die Farbe der Liebe.
»Faites vos jeux« , sagte der Croupier mit regloser Miene.
Mit zittrigen Fingern öffnete Flora ihre Geldkatze, dann legte sie all ihre zuvor eingetauschten Jetons auf â
»Rot!« Vor Aufregung überschlug sich fast ihre Stimme.
Bitte lieber Gott, bitte â¦
Die Hände wie zum Gebet gefaltet, starrte Flora mit angehaltenem Atem auf die rollende Kugel.
Bitte, lieber Gott, bitte â¦
Schwarz, rot, schwarz, die Kugel wurde langsamer, schwarz, sie holperte ein wenig, hüpfte über einige Zahlen, verlor immer
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