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Das Blumenorakel

Das Blumenorakel

Titel: Das Blumenorakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Kind«, erwiderte Ernestine, »wenn du ständig vor dich hin plapperst, kann ich mich gar nicht auf meine eigene Lektüre konzentrieren. Und ehrlich gesagt finde ich diese ewigen Blumenbeschreibungen auch ein wenig langatmig.«
    Flora schaute ihre Schwiegermutter ärgerlich an. Wie konnte man nur so wenig Sinn für Poesie haben?
    Friedrich grinste nur.
    Kuno nahm seine Lesebrille ab. Nur mühsam ein Gähnen unterdrückend, wünschte er eine gute Nacht. »Für euch wirds auch bald Zeit, nicht, dass ihr mir noch eine Kerze anzündet!«
    Â»Du gehst schon zu Bett? Ich wollte dir doch noch erzählen, was ich gestern gelesen habe …«, sagte Flora.
    Â»Und das wäre?«, fragte Kuno und unterdrückte offenbar ein Seufzen. Sein Blick wanderte in Richtung Treppe, als könne er es nicht erwarten, endlich ins Bett zu kommen.
    Flora holte tief Luft – jetzt galts! »Es geht um die Blumensprache. Wusstest du, dass die Blumenläden früher, vor allem in Paris, ihrer Kundschaft kleine Heftchen mitgaben, in denen etwas über die Blumensymbolik stand? Man hat das gemacht, um Missverständnisse zu vermeiden. Wäre das nichts für uns?« Kuno verzog das Gesicht. »Fängst du schon wieder damit an?Also, ich verstehe wirklich nicht, was du an dem alten Kram findest, du bist doch sonst so fortschrittlich!«
    Â»Romantische Gefühle sind kein alter Kram«, erwiderte Flora heftig.
    Kuno Sonnenschein winkte ab. »Nenn es, wie du willst, aber wehe, du kommst mir mit all dem …« – seine Hand fuchtelte in Richtung von Floras Büchern – »im Laden an. Wir wollen Blumen verkaufen, mehr nicht. Von Goethe und Balzac wollen unsere Kunden gewiss nichts hören! Und was die Blumensprache angeht, kennst du meine Meinung ebenfalls.«
    Â»Ja, aber –« Hilfesuchend schaute Flora zu Friedrich hinüber, doch der zuckte nur mit den Schultern und sagte: »Es ist nicht jeder so wissbegierig wie du.«
    Â»Aber wenn wir diese kleinen Geschichten verbreiten, würden wir uns von den anderen abheben! Vielleicht könnten wir mit Hilfe der Blumensprache in der kommenden Saison neue Kunden gewinnen. Das Maison Kuttner –«
    Kuno schaute Flora streng an und fuhr ihr über den Mund: »Schluss jetzt! Ich sags ein letztes Mal: Ich will davon nichts mehr hören. Als ob ich nicht genügend andere Sorgen hätte. Die vielen Rechnungen, das Haushaltsgeld, die hohen Steuern … Geld für Heizmaterial und so weiter – das sind Sorgen! Und du kommst mir mit so was.« Er funkelte Flora immer noch an.
    Â»Aber …« Wenn das Geschäft besser läuft, wären diese Sorgen doch ausgestanden, wollte Flora sagen, doch Kuno schnitt ihr erneut das Wort ab.
    Â»Kein Aber. Ich wünsche eine gute Nacht.«

31 . K APITEL
    K uno Sonnenschein sollte nicht mehr erleben, wie die Tage nach Lichtmess wieder länger wurden – er schlief in dieser Nacht für immer ein.
    Ernestines Schrei gellte am Morgen des dritten Februar durch den Flur. Innerhalb kürzester Zeit hatten sich alle Hausbewohner um das Bett des leblosen Kuno versammelt – fassungslos, entsetzt, ungläubig. Ernestine rüttelte am Arm ihres Mannes, rief, er möge derlei unziemliche Scherze unterlassen. Flora murmelte, sie wolle ihm nie mehr mit der Blumensprache kommen, aber er möge doch jetzt bitte, bitte wieder aufwachen.
    Erst als der von Friedrich herbeigerufene Arzt den Tod des Hausherrn – Herzversagen, was bei Männern in diesem Alter leider nichts Ungewöhnliches wäre – bestätigte, sickerte die schreckliche Wahrheit allmählich ins Bewusstsein der Familie.

    In den nächsten Tagen stand die Ladenglocke nicht mehr still. Else Walbusch, Gretel Grün und viele andere Nachbarn kamen zum Kondolieren.
    Mit zitternden Händen band Flora den Trauerkranz für Kunos Beerdigung. Die Wintersonne fiel durchs Fenster und warf ihre Strahlen direkt auf Floras Arbeitsplatz. Einen unheimlichen Moment lang kam es ihr so vor, als würde Kuno sie vom Himmel aus bei ihrer Arbeit im Auge behalten. Unwillkürlich kontrollierte sie, ob auch jedes Zweiglein sauber ans nächste gebunden war. Sie war gerade dabei, ein Bukett aus weißen Rosen auf dem Kranz zu befestigen, als der Postbote mit der neuesten Ausgabe der Gartenlaube daherkam. Kaum war der Mann wieder verschwunden, heulte Flora

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