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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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schwarzes Kleid für die Königin in den Palast,
eine Leinenweste für den König, ein Gewand für Louis Charles, der als Mädchen
verkleidet werden sollte. Ich wusste nicht, wann sie abreisen würden. Das war
nur einem kleinen Kreis bekannt.
    Sag niemandem, was du tust, ermahnte mich die Königin,
nicht einmal unseren treuesten Anhängern, denn eine Zofe oder ein Kammerdiener
könnte dich belauschen. Die Spione sind überall. Versprich mir, dass du dich
daran hältst. Unser Leben hängt davon ab. Sie nahm eine Bibel und bat mich, die
Hand darauf zu legen. Schwöre es mir, sagte sie, bei Gott.
    Ich zitterte innerlich. Wie sollte ich das tun? Wie
konnte ich Gott einen Eid schwören und verschweigen, dass ich dem Teufel
versprochen hatte, ihm alles zu berichten? Doch wenn ich mich weigerte, würde
die Königin mich als Spionin entlarven.
    Einen musste ich belügen – aber wen? Den Herzog oder
die Königin? Falls der Herzog von Orléans herausfand, dass ich ihn belog, würde
ich dafür bezahlen müssen. Falls die Königin meine Lüge durchschaute, würde ich
ihre Gunst verlieren. Sie war jetzt eine Gefangene und besaß nicht mehr ihre
frühere Macht, aber das bliebe vielleicht nicht immer so.
    Ich legte die Hand auf die Bibel und schwor den Eid.
Ich hatte mir überlegt, was zu tun wäre. Wenn sich die Nachricht von der Flucht
des Königs verbreitete, würde mich Orléans in die Mangel nehmen. Ich würde mich
genauso entsetzt geben wie er selbst und behaupten, ich hätte nichts davon
gewusst, nichts gesehen, nichts gehört. Ich würde sagen, der König und die
Königin seien höchst verschwiegen vorgegangen, und falls Teile der Dienerschaft
in ihren Plan eingeweiht gewesen wären, so seien sie sehr gut bezahlt worden,
weil keiner ein Sterbenswörtchen hatte verlauten lassen.
    Damit käme ich durch, sagte ich mir. Ich war
schließlich Schauspielerin. Der Herzog von Orléans würde mir glauben.
Vielleicht würde er mich auch gar nicht befragen. Nachdem er dem König nur das
Beste wünschte, wie er behauptete, wäre
er wahrscheinlich nur allzu froh, dass dieser und seine Familie entkommen
waren.
    Nacht für Nacht traf ich den Herzog in seinen
Gemächern, um meine Berichte abzuliefern, und log ihn an. Genau wie die
anderen: Desmoulins und Marat, Danton, Robespierre, Collot d’Herbois,
d’Églantine und ihre Schlägertruppen – ein umherziehender Haufen jakobinischer
Banditen, unter ihnen Santerre, ein Brauer aus Saint-Antoine, Fournier, ein
bankrotter Rumhersteller aus Santo Domingo, der bei jeder Demonstration und
jedem Aufstand dabei war, und Rotonde, ein Englischlehrer, der im Club der
Jakobiner herumstrich, wenn Robespierre redete, und sich jeden merkte, der
spottete oder mit Zwischenrufen störte, damit er ihn später zusammenschlagen
konnte.
    Die Gegenwart dieser Männer beunruhigte mich. Ich
verstand nicht, warum der Herzog von Orléans sie freihielt. Er, der angeblich
dem König helfen wollte, saß mit den Männern zusammen, die allesamt Könige
abschaffen wollten? Warum gab er ihnen Essen und Trinken und manchmal Gold?
Mein altes Misstrauen kehrte zurück, und ich fragte mich, ob er aufrichtig
gewesen war, als er gesagt hatte, er wolle nichts anderes, als dem König
beizustehen. Er musste mein Unbehagen gespürt haben, denn einmal, nachdem
Danton gegangen war, legte er mir den Arm um die Schultern und sagte: Vergiss
nicht, kleiner Spatz, der Feind meines Feindes ist mein Freund.
    Ich verstand. Er wollte den einen gegen den anderen
ausspielen und sich damit einen Vorteil verschaffen. Seine Worte beruhigten
mich etwas. So hatte ich eine Sorge weniger, wobei mir immer noch mehr als
genug blieben. Es bedurfte all meiner Schauspielkunst, um mit gelassener Stimme
zu sprechen und nicht an allen Gliedern zu zittern, wenn ich dem Herzog meine
Lügen auftischte. Ich hatte seinen Zorn schon einmal zu spüren bekommen, und so
würde es mir wieder ergehen, wenn er mein falsches Spiel entdeckte. Später,
wenn ich hoch über seinen Gemächern allein in meiner Mansardenkammer war, übergab
ich mich oft in meine Waschschüssel aus Angst davor.
    Ich hatte mir eine Bühne gewünscht. Rollen. Der Herzog
von Orléans gab sie mir – Junge, Spion, Diener, Bastard, Royalist, Rebell,
Patriot, Jakobiner. Ich spielte sie alle. Es gab Tage, da klopfte sein Diener,
ein alter

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