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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Blut auf die
Tücher tropfen lassen.
    Der Mann wich zurück aus Angst vor Ansteckung. Verschwinde!
Auf der Stelle!, sagte er und scheuchte mich weiter. Lang lebe die Republik!
    Lang lebe die Republik!, antwortete ich und hastete an
ihm vorbei.
    Flüsternd redete ich auf das Baby ein, als ich durch
die dunkle Straße ging, aber es gab keine Antwort. Es konnte nicht, denn es war
nicht aus Fleisch und Blut. Es war aus Kohle und Pulver. Aus Papier und
Baumwolle und Wachs.
    In der Rue Charlot steht ein Haus. Mit dem Schlüssel,
den ich der Tochter des Eigentümers für zwei Silberlöffel aus dem Besitz des
Herzogs abgekauft hatte, verschaffte ich mir Einlass in den Hof.
    Ich stieg die Steintreppe hinauf, immer höher und
höher. Am Ende ist eine schmale Tür. Ich knotete meine Röcke zusammen und
schlüpfte aufs Dach hinaus. Das Dach ist sehr steil. Wie ein Käfer bewegte ich
mich voran, schob meinen Korb vor mir her und hielt mit den Zähnen den Henkel
der Lampe fest. Unterhalb vom First ist eine Reihe Kamine. Ich lehnte mich
dagegen und nahm das Tuch von meinem Korb.
    Es lagen zwei Dutzend Raketen darin und zwei Dutzend
Stäbe, um sie aufzustellen. Ich beugte mich zu meiner Lampe hinunter, steckte
die Raketen auf die Stäbe und lehnte sie an einen Kamin.
    In der Dunkelheit konnte ich den Turm nicht sehen. Aber
ich wusste, dass er dort war. Und ich wusste, dass das Kind dort war –
gebrochen und allein.
    Eine Kirchturmuhr schlug zwei. Ich wischte mir über die
Augen. Tränen hatten das Pulver befeuchtet.
    Ich nahm die erste Rakete und rammte den Stab in eine
Spalte zwischen den Ziegeln. Dann nahm ich eine Kerze aus dem Korb, hielt den
Docht in eine Flamme und dann an die Zündschnur der Rakete. Die Rakete puffte.
Sie knisterte und knackte und hob dann mit lautem Zischen ab.
    Ich wartete mit fest gefalteten Händen, und kurz darauf
ertönte ein ohrenbetäubender Knall, lauter als Kanonendonner. Fenster
zerbrachen. Vögel flogen schreiend von ihren Ästen auf. Eine Frau kreischte.
Und plötzlich war die schwarze Nacht besiegt, von grellem Lichterstrahl
bezwungen.
    Ich packte eine weitere Rakete. Rammte den Stab in die
Ziegel. Hielt das Feuer an die Zündschnur. Und dann die nächste. Eine nach der
anderen, so schnell ich konnte.
    Ich kann dir keine Lieder mehr singen, Louis Charles,
sagte ich. Keine Spiele mehr mit dir spielen. Aber ich kann dir das schenken –
dieses Licht.
    Ich werde Gold und Silber für dich regnen lassen. Ich
werde die schwarze Nacht zersprengen, sie aufreißen und Millionen Sterne
ausgießen. Die Dunkelheit, den Wahnsinn, den Schmerz verscheuchen.
    Mach deine Augen auf. Und du weißt, dass ich hier bin.
Dass ich mich erinnere und hoffe.
    Ã–ffne deine Augen und sieh ins Licht.
    18. Mai 1795
    Heute Nacht wage ich nicht auszugehen. Bonaparte hat
die Patrouillen verdoppelt, in der Hoffnung mich zu erwischen. Er ist wütend
wegen meines letzten Feuerwerks. Zu Recht, denn es war großartig. Aber ich darf
mich nicht gefangen nehmen lassen. Ich werde warten. Ich werde an meinem Tisch
im Foy sitzen, als Gast der eine Suppe löffelt – der Inbegriff eines gesetzestreuen
Bürgers –, und schreiben.
    Jetzt springe ich zurück ins Jahr 1791. In die Tuilierien. Nachdem
er fast zwei Jahre dort verbracht und zugesehen hatte, wie die Revolutionäre
immer stärker wurden, beschloss der König, aus dem Palast, aus Paris und vor
seinem Volk zu fliehen. Sobald der Sommer gekommen, der Regen vorbei und es auf
den Straßen trocken wäre. Er wollte nach Montmédy an der Grenze der
österreichischen Niederlande. Und dort mithilfe des loyalen Marquis de Bouillé
Truppen sammeln.
    Der König und seine Familie würden Paris bei Nacht und
Nebel verlassen. Madame de Tourzel, die königliche Erzieherin, sollte sich als
russische Aristokratin ausgeben, Louis Charles und seine Schwester als ihre
Kinder. Die Königin wollte die Rolle der Gouvernante spielen und der König sich
als Diener verkleiden. Das Ganze wurde mithilfe des Bruders der Königin,
Leopolds von Österreich, des schwedischen Botschafters Graf Fersen, einer
Handvoll Kammerzofen und Wachen und mit meiner Unterstützung arrangiert.
    Den ganzen Frühling 1791
hindurch trug ich Münzen und Juwelen, in Stoff gewickelt und in meinen
Reithosen verborgen, zu einem Kutschenmacher. Einem Stallknecht. Einer Näherin.
Ich schmuggelte ein schlichtes

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