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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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der Junge auf der langen Reise einen
Zeitvertreib hätte.
    Gute Nacht, Alex, murmelte er, als ich das Zimmer
verließ. Gott beschütze dich.
    Gott würde mich nicht beschützen. Das wusste ich. Denn
ich hatte mich auf die andere Seite geschlagen. Doch um Louis Charles’ willen,
drehte ich mich an der Tür um und flüsterte, Gott beschütze dich auch, kleiner
Prinz. Gott sei mit dir.
    20. Mai 1795
    Es war früher Morgen. Die Sonne war noch nicht ganz
aufgegangen. Ich befand mich in meiner Kammer und kleidete mich gerade an.
Plötzlich lag ich auf dem Boden und der Herzog von Orléans stand über mir.
Seine Schläge waren so hart, dass sich noch tagelang der Abdruck seines Rings
auf meiner Wange abzeichnete.
    Wo sind sie?, schrie er. Wo sind sie hin?
    Wer?
    Du hältst mich wohl für einen Narren?, bellte er und
schlug mich erneut.
    Bitte hören Sie auf!, flehte ich weinend und versuchte,
von ihm weg zu kriechen.
    Sie sind fort, alle! Während der Nacht geflohen. Du
hast gewusst, was sie vorhatten, und mir nichts gesagt!, schrie er.
    Ich wusste nichts!, log ich.
    Sie hatten Komplizen. Sie müssen welche gehabt haben. Sicher
gab es Briefe, Schmiergeld. Du musst etwas gesehen haben.
    Ich habe Ihnen alles berichtet, was ich sah. Das
schwöre ich!
    Es gab weitere Schläge, so heftige Prügel, dass ich ihm
schließlich die Wahrheit sagte. Über die Pläne des Königs und sein Reiseziel.
Und wie die Königin mich schwören ließ, Stillschweigen zu bewahren.
    Du verdammter Dummkopf!, schrie er mich an. Was hast du
getan? Er packte mich an meiner Jacke und riss mich hoch, bis mein Gesicht nur
noch ein paar Zentimeter von dem seinen entfernt war. Bete, dass sie gefangen
werden, kleiner Spatz, sagte er. Bete so inständig, wie du noch nie in deinem
ganzen elenden Leben gebetet hast.
    Er ließ mich los, und ich fiel auf den Boden zurück.
Ich konnte nichts sehen, weil mir das Blut in die Augen lief, aber ich hörte
ihn hinausgehen. Es tat weh, mich zu bewegen, zu atmen, zu denken. Ich weiß
nicht, wie lange ich auf dem Boden gelegen hatte, als ich schließlich Schritte
hörte.
    Arme Schauspielerin, sagte eine Stimme an der Tür. Mein
Herr hat dir übel mitgespielt.
    Es war Nicolas, der alte Diener. Er stellte eine
Wasserschüssel neben mir ab und wrang einen Lappen aus. Ich schrie auf, als er
mir das Blut vom Gesicht wischte.
    Die Dinge stehen schlecht für den Herzog, sagte er. Der
König ist verschwunden und mit ihm die Hoffnungen des Herzogs.
    Für mich stehen die Dinge noch weitaus schlechter …
    Der Herzog ist wütend, und er hat allen Grund dazu.
Wenn der König Österreich erreicht, wird er eine Armee aufstellen und
Frankreich zurückerobern.
    Warum freut er sich dann nicht? Er sagte doch, dass er
dem König helfen will? Was wäre besser als dessen Freiheit?
    Nicolas lachte.
    Ich verstehe nicht, was daran komisch sein soll, sagte
ich.
    Nein, das tust du nicht, und deshalb benutzt er dich.
Du bist blind, Kind. Allem blind gegenüber, außer deinem Ehrgeiz. Der Herzog
von Orléans ist der nächste in der Thronfolge, sollte die Linie des Königs
aussterben. Hast du das etwa nicht gewusst?
    Ich hatte es nicht gewusst, und es interessierte mich
auch nicht. Ich hörte nicht mehr zu. Ich hatte genug. Genug vom Herzog. Genug
von Nicolas. Ich versuchte aufzustehen.
    Was hast du vor?, fragte der Alte.
    Den Palast zu verlassen. Und den Teufel von Orléans.
Jetzt, da der König fort ist, hat er ohnehin keine Verwendung mehr für mich.
    Nicolas packte mich am Arm. Mittlerweile lachte er
nicht mehr. Hör mir zu, Kind, sagte er. Geh nicht von hier weg, außer du kannst
sehr weit fortgehen und sehr schnell.
    Er nahm die Schüssel, goss das blutige Wasser aus dem
Fenster und verließ mich. Ich sank auf den Boden zurück. Stunden später, als
ich wieder stehen konnte, humpelte ich zu meinem Bett. Einige Tage darauf ging
meine Tür auf und der Herzog von Orléans trat herein. Er rümpfte die Nase über
den Gestank in meiner Kammer.
    Sie wurden gefangen. Pech für sie. Glück für dich,
sagte er und warf frische Kleider auf mein Bett. Wasch dich und mach dich
wieder an deine Arbeit. Und, kleiner Spatz …
    Ja?
    Lüg mich noch einmal an und du wirst nicht in dein Bett
kriechen, wenn ich mit dir fertig bin, sondern in dein Grab.
    Ich schließe das Tagebuch und starre an die Decke.
    Ich

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