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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Vielleicht
lebte sie in Brooklyn.
    Â»In Kürze beginnt ein Kammerkonzert, Mademoiselle«, sagt
jemand vom Personal zu mir. »Eines unserer Samstagnachmittagskonzerte. Wenn Sie
zuhören möchten, gehen Sie bitte nach oben und nehmen Sie Platz.«
    Ich sehe auf die Uhr – es ist vier – und lehne ab. Ich würde
wirklich gern zuhören, aber ich muss zu G.s Haus zurück. Es liegt immer noch
eine Menge Arbeit vor mir.
    Ich werfe einen letzten Blick auf Malherbeau. So viel
Traurigkeit in diesen Augen. Und so viel Musik. »Ich wünschte, ich wüsste, was
dir widerfahren ist«, sage ich flüsternd.
    Ich gehe zur Tür und trete hinaus. Als ich sie hinter mir
schließe, beginnt eine einsame Gitarre zu spielen.
    Â Â 49  
    Fast fertig. Fast geschafft.
    Das Porträt auf meinem Bildschirm wird langsam ausgeblendet.
    Malherbeaus Konzert in a-Moll spielt weiter. Textzeilen tauchen auf:
    â€¦ und Malherbeaus Vermächtnis – das seiner Zeit verpflichtet
und dennoch zeitlos ist – hallt durch die Jahrhunderte nach, und wurde zu einer
Quelle der Inspiration für die Beatles und Beethoven, für die White Stripes und
Strawinsky.
    Der Text wird ausgeblendet, die Musik verstummt. Ich
speichere die Datei und schließe PowerPoint. Dann schreibe ich eine E -Mail an meinen Vater, hänge die Datei an und drücke
auf SENDEN . Den Entwurf meiner Arbeit habe ich ihm
bereits geschickt. Jetzt hat er alles. Ich bin fertig.
    Ich schalte den Laptop aus und bringe meine Kaffeetasse in
die Küche. Es ist Samstagnacht, fast elf. Ich weiß nicht, wo er ist. Er hat
gesagt, er käme erst spät zurück, aber ich dachte nicht, dass es so spät würde.
Ich habe wirklich gehofft, er würde es noch heute Abend lesen und mir seine
Meinung sagen können, bevor ich ins Bett gehe. Der Entwurf ist gut. Das weiß
ich. Aber ich brauche trotzdem sein Okay, bevor ich in den Flieger steigen
kann. Also beschließe ich, aufzubleiben und auf ihn zu warten.
    Ich gehe in mein Zimmer, hole meinen Koffer aus dem Schrank und
fange an zu packen. Meinen Pass und mein Ticket lege ich auf dem Nachttisch für
morgen bereit. Dann werfe ich mich aufs Bett und schlage Alex’ Tagebuch auf.
Ich habe vor, es mit einer Nachricht für G. auf dem Esstisch zurückzulassen,
wenn ich abfahre. Aber zuerst will ich es noch zu Ende lesen. Es sind nur noch
ein paar Einträge.
    21. Mai 1795
    Es regnet heute Abend. Ich kann nicht hinaus. Das
Wasser würde meine Raketen unbrauchbar machen.
    Also sitze ich mit Feder und Tinte und einem
flackernden Kerzenstummel am Tisch. In meiner alten Kammer, hoch oben im Palais
Royal. Ich mag diese Kammer nicht. Es sind noch immer die Blutflecken auf dem
Boden zu erkennen, wo der Herzog von Orléans mich zusammengeschlagen hat. Es
ist dunkel und kalt hier drinnen, aber ich wage es nicht, ein Feuer anzuzünden.
Ich bin schon ein übermäßiges Risiko eingegangen, indem ich hierher
zurückgekommen bin.
    Die Behörden haben dem Herzog das Palais vor zwei
Jahren, anno 1793,
weggenommen, im selben Jahr schickten sie ihn auf die Guillotine, und es ging
in staatlichen Besitz über. Sie raubten all seine Wertgegenstände, aber nicht
meine Schätze. Weil sie nicht wussten, wo sie suchen mussten. Ein paar der
früheren Gemächer des Herzogs werden für Regierungsgeschäfte genutzt, aber der
größte Teil des Palais steht leer, und die Türen sind mit Vorhängeschlössern
versperrt – obwohl man immer noch hineinkommt, wenn man nur weiß, wie man es
anstellen muss. Es gibt einen unterirdischen Gang vom Café Foy in die Küchen
des Palastes. Einst wurde er von Spionen benutzt. Von Intriganten. Zuträgern.
Jetzt benutze ich ihn, um in meine ehemalige Kammer zu gelangen, und der Räuber
Benoît lässt sich gut bezahlen für seine Gunst.
    Der Regen wird stärker, während ich schreibe. Er
rauscht in Strömen von den Dächern hinab. Ich wünschte, er würde auf mich
einhämmern. Das Leben aus mir herausdreschen. Mir das Fleisch von den Knochen
reißen. Den Schmerz aus dem Herzen.
    Heute habe ich einen Wachmann im Temple bestochen.
Er sagte mir, ein Arzt sei zu Louis Charles gerufen worden. Er könne nicht mehr
stehen. Wolle nicht mehr sprechen und essen.
    Was sind das für Menschen, einem Kind so etwas anzutun
– sie, die von Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit schwadronierten? Was

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